Geige üben – muss das sein?
Manchmal werde ich von Schülereltern gefragt, ob denn regelmäßiges Üben wirklich notwendig sei. Musik solle dem Kind ja in erster Linie Spaß machen und nicht eine zusätzliche „Bürde“ sein.
Das Üben zu Hause werde oft als lästige Pflicht empfunden und sei immer wieder Anlass für mühsame Diskussionen.
Erlernen komplexer Bewegungsabläufe
Gerade im Anfangsunterricht ist es erst einmal von großer Bedeutung, dass die jungen Instrumentalisten ein Gefühl für die spieltechnischen Bewegungsabläufe entwickeln. Diese prägen sich erst durch mehrfache Wiederholung ein. Nur so können sie bewusst abgerufen und schließlich automatisiert werden.
Wie ein erfolgreicher Sportler braucht auch ein Musiker regelmäßiges Training, um komplexe Bewegungsabläufe auszuführen und zu koordinieren. Niemand erwartet z. B. von einem Eiskunstläufer, dass er einen neuen Sprung oder eine neue Figurenkombination auf Abruf ausführen kann, wenn er sie vorher nicht unzählige Male geübt hat.
Welche Rolle spielt das Hören?
Bei Musikern ist dieses Bewegungslernen sehr eng an das Gehör gekoppelt. Entspricht das Klangergebnis nicht den Vorstellungen des Spielers, muss er seine spieltechnischen Abläufe so lange abändern und feinjustieren, bis er die gewünschte Tonhöhe und Tonqualität erhält. Gehör und Körperwahrnehmung beeinflussen einander also gegenseitig, müssen aufeinander reagieren und werden dementsprechend beim Üben besonders intensiv geschult.
Üben und Gehirnforschung
Seit geraumer Zeit schon ist es möglich, durch bildgebende Verfahren darzustellen, was im Gehirn vor sich geht, wenn man ein Instrument spielt. Laut Univ. Prof. Dr. med. Eckhart Altenmüller konnte mithilfe der funktionellen Kernspintomographie nachgewiesen werden, dass bereits nach einer Übezeit von 30 Minuten eine Veränderung im Gehirn stattfand: Das neuronale Netzwerk vergrößerte sich! Soweit die „gute Nachricht“.
Jetzt kommt aber die“schlechte Nachricht“: Diese Vergrößerung des neuronalen Netzwerkes blieb – wenn nicht weiter geübt wurde – nur ungfähr eine Woche lang bestehen, dann „schrumpften“ die entsprechenden Hirnareale wieder auf ihren vorherigen Wert zurück. Wurde das Üben aber täglich über mehrere Wochen hindurch fortgesetzt, blieb die Vergrößerung des neuronalen Netzwerkes langfristig stabil. (Nachzulesen in: Dr. Eckhart Altenmüller: Hirnphysiologische Grundlagen des Übens in: Handbuch Üben, Hrsg. Ulrich Mahlert; Breitkopf & Härtel 2006, S.55)
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse erklärt sich die Notwendigkeit des regelmäßigen Übens wohl von selbst. Wie aber können wir die jungen Musiker unterstützen, dass das Üben für sie zu einer erfreulichen, gerne ausgeführten Tätigkeit in ihrem Tagesablauf wird?
Die Rolle der Eltern
Für die meisten Kinder im frühen Schulalter ist die Herausforderung, sich den Tag mit all seinen Aufgaben selbst einzuteilen, noch zu groß. Deshalb ist es gerade für unsere jüngsten Musiker so wichtig, dass sie zu Hause eine liebevolle Unterstützung durch ihre Eltern erfahren. Eltern, die mit ihnen gemeinsam die Übezeit einplanen, die ihre Kinder anregen und ermutigen in ihrem musikalischen Tun.
Die Aufgabe des Lehrers
Wenn das Üben von Erfolg gekrönt sein soll, ist es die Aufgabe von uns Instrumentalpädagogen, den jungen Instrumentalisten ganz klare Übe-Anleitungen mit auf den Weg geben. Dadurch erlernen sie Schritt für Schritt, wie man effektiv übt. Dann stellt sich auch über kurz oder lang der ersehnte Erfolg ein.
Die Antwort auf die obige Frage…
… lautet also ganz klar: Ja. Regelmäßiges Üben ist unumgänglich, wenn man dauerhaft Freude am Musizieren haben möchte. Ohne regelmäßiges Üben ist kein Fortschritt möglich. Die kleinen Erfolgserlebnisse, die das Üben immer wieder mit sich bringt, erhalten auf lange Sicht die Motivation, die Anstrengungsbereitschaft und die Freude am eigenen Musizieren.
Welche Erfahrungen auf dem Gebiet Üben haben Sie mit Ihren Schülern oder mit Ihren eigenen Kindern? Über einen Kommentar von Ihnen würde ich mich sehr freuen!
Meine Tochter hat mit fünf Jahren auf eigenen Wunsch Geigenunterricht bekommen. Das erste Jahr war anstrengend, das Üben mühselig und ich stand kurz davor, sie vom Unterricht wieder abzumelden. Mittlerweile (sie wird jetzt acht) gehört das Üben einfach zum täglichen Ablauf, auch wenn die Begeisterung nicht immer riesig ist. Ich lege Wert darauf, dass sie – zusätzlich zu Umterricht- 4-5 mal die Woche mindestens 15 Minuten übt. Dieses Pensum ist absolut machbar und führt zu guten Fortschritten (und dem ersehnten Lob der Lehrerin…). Wichtig scheint mir aber wirklich zu sein, dass man als Eltern begleitet: Zuhört, sich interessiert, ein bisschen beim intelligenten Üben unterstützt (nicht immer wieder alles von Anfang an runterrattern, jeweils auf bestimmte Passagen konzentrieren, Tonleitern und Fingerübungen nicht vergessen…). Es hilft sicher auch, dass auch ich und mein Sohn Instrumente spielen und so das Üben für alle Pflicht ist!
Liebe „Geigenmutter“,
herzlichen Dank für Ihren so wertvollen Beitrag! Ich denke, es ist so wichtig – besonders auch für andere „Geigeneltern“ – zu wissen, dass das regelmäßige Üben zwar nicht immer auf große Begeisterung stößt, aber dass diese Regelmäßigkeit einfach notwendig ist, um Fortschritte zu machen. Nichts ist für Kinder motivierender als ein Erfolgserlebnis! Ich kann deshalb nur alle Eltern immer wieder bestärken: Bleiben Sie dran, halten Sie durch, auch wenn es manchmal Durststrecken gibt!
So machen Kinder auch die Erfahrung, dass man für mache Dinge im Leben Geduld und Ausdauer braucht, um das gewünschte Ziel zu erreichen! Junge Menschen, die diesen Zusammenhang „verinnerlicht“ haben, haben die besten Voraussetzungen, ihre Ziele im Leben zu erreichen!
Nochmals vielen Dank für Ihren Kommentar und herzliche Grüße!
Mein Sohn, 5 Jahre, spielt auch seit einem halben Jahr Geige und wir üben täglich. Er ist Frühaufsteher, geht noch in den Kindergarten und hat in der Früh immer noch ewig Zeit bis ihn der Bus abholt (wir wohnen am Land). Das nützen wir gleich zum Üben (ca. 15-20 Minuten, je nachdem wie viel er beim Anziehen getrödelt hat und wie viel Zeit uns bleib). In der Früh ist er besonders konzentriert bei der Sache. Am Nachmittag üben wir dann nochmal und er macht ganz tolle Fortschritte. Sein großer Bruder (7 Jahre) spielt auch seit einem halben Jahr Steirische Harmonika und wir haben die beiden sofort auch gemeinsam spielen lassen. Außerdem motivieren wir sie immer dazu den Verwandten und Freunden etwas vorzuspielen, denn auch das Lob und die Aberkennung von anderen motiviert sie. Ich bin selbst Gitarrenlehrerin und muss allen Eltern sagen, dass sie mit den Kindern üben müssen wenn das Instrument Spaß machen soll. Ansonsten ist die Musikstunde eine teure Kinderbetreuung, mehr nicht. Ich sage nicht „geh bitte Geige üben“, ich sage „komm, gehen wir Geige spielen“. Und Geige spielen, oder auch Ziehharmonika spielen, gehört einfach jeden Tag dazu, so wie Hausaufgaben machen oder Zähne putzen. Und wenn man sein Instrument regelmäßig spiel kommt das Erfolgserlebnis und durch dieses gute Gefühl bleibt auch die Motivation erhalten. Und wenn neue Herausforderungen zu bewältigen sind erinnere ich an alte Stücke die auch mal schwierig waren und jetzt so leicht und lustig zu spielen sind, ich versuche vielleicht nur eine kleine Stelle bei einem neuen Stück zu schaffen, aber die üben wir solange bis sie funktioniert und mein Kind mit einem positiven Gefühl aus der Übesitustion hinaus geht. Ich finde es schade wenn heutzutage Anstrengung, gerade im Zusammenhang mit Kindern, immer öfter als etwas sehr negatives dargestellt wird. Dabei stell sich für mich immer häufiger die Frage ob es nicht vielmehr die Eltern sind, die Angst vor ihrer eigenen Überanstrengung haben, und die Kinder daher lieber erst garnicht für „anstrengende“ Dinge motivieren.
Ich persönlich habe mir vorgenommen meine 4 Kinder in allem was sie tun wollen so gut als möglich zu unterstützen, Taxifahrerin, Musiklehrerin, Zuhörerin, Trösterin, Motivatorin, Publikum,… zu sein wann immer es notwendig ist, und meine Kinder danken es mir mit tollen Konzerten, lustigen Tanzauftritten, aufregenden Fußballspielen und jeder Menge wundervoller gemeinsamer Zeit die wir dadurch gewinnen!
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag!
Ja, die gemeinsame „Übezeit“ soll doch eine gemeinsam verbrachte „Qualitätszeit“ sein! Es ist doch etwas schönes, wenn man zu Hause gemeinsam musizieren kann! Und: Kinder lieben es, neue Dinge zu lernen! Sicher ist das nicht immer „leicht“. Für manche Dinge muss man sich ordentlich anstregen und braucht eine Portion Geduld und Ausdauer. Die beste Lebenserfahrung aber, die Kinder machen können, ist diese: „Wenn ich mich für etwas wirklich anstrenge, dann erreiche ich mein Ziel! Es kann vielleicht manchmal etwas länger dauern, aber wenn ich konsequent dranbleibe, erreichte ich das Ziel!“
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg
Mein Sohn hat mit 5 angefangen Geige zu spielen. Von Anfang an übe ich mit ihm zusammen, so ist eine Routine entstanden, dass das einfach täglich dazu gehört und dies klappt meistens sehr gut.
Was bei uns schwieriger ist, ist dass er auch qualitativ wertvoll übt. Er liebt es schnell zu spielen und findet es toll, die Stücke durchzufetzen. Natürlich bleibt dann die Qualität (sauberes Greifen) auf der Strecke. Es ist schwierig, genaues, kontrolliertes Spielen aus ihm rauszukitzeln. Ich denke es hat viel mit „sich selber zuhören“ und seiner enormen inneren Energie zu tun. Ausserdem findet er selber schnell spielen viel toller als schön spielen. Ich unterrichte selber Querflöte, habe aber meistens ältere Schüler und meistens Mädchen (ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie eher „brav“ mitmachen).
Haben Sie mir einen Tipp, wie ich seine ungestüme Art und wahnsinnige Energie in geigerisch kontrolliertere Bahnen lenken kann?
Freundliche Grüße
Yvonne
Liebe Frau Canonica,
das klingt doch schon einmal sehr gut, dass Sie mit Ihrem Sohn eine gemeinsame Übe-Routine entwickelt haben! Wie alt ist Ihr Sohn denn jetzt? Es ist immer schwierig, aus der Ferne – ohne das Kind zu kennen – Ratschläge zu geben. Ich könnte mir vorstellen, dass er einfach sehr viel Energie hat. Vielleicht könnte man die Übezeit ja unterteilen in Aktivitäten, die mit viel Energie und Schwung ausgeführt werden dürfen und Aktivitäten, die man erst einmal mit Ruhe und großer Genauigkeit im „Schneckentempo“ ausführt. Ich würde die „Schneckentempo“-Einheiten zuerst sehr kurz halten und die Zeitspanne erst nach und nach ausdehnen. Eine Übe-Session könnte dann so ablaufen: Erst ein Stück, das Ihr Sohn schon gut kann, schnell spielen lassen, mit verschiedenen Ausdrucksvarianten wie z. B. fröhlich, zornig, laut, usw. Danach die Geige kurz absetzen, sich auf die große Zehe am linken Fuß (oder sonst etwas Lustiges) konzentrieren. Das bewirkt, dass man ruhig und aufnahmefähig wird. Dann wird eine Zeile des neu zu erarbeitenden Stückes langsam und ganz genau gespielt. Dabei einmal auf schönen Klang vom Bogen her achten, beim nächsten Mal auf saubere Intonation, beim nächsten Mal auf gute Körperhaltung, usw.
Danach darf wieder ein Stück schnell gespielt werden. Vielleicht hilft das ein wenig?
Ganz herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
Meine Tochter ist 11 Jahre alt und spielt seit 4 Jahren Geige. Meistens spielt und übt sie mit Begeisterung, aber in letzter Zeit gab es eine Veränderung und immer mehr Tränen. Wir leben in der Schweiz und hier gibt es die Möglichkeit, ab dem 12. Lebensjahr einen musikalischen Sonderweg in der Schule zu gehen, d.h. das Kind wird vom Nachmittagsunterricht befreit und kann die Zeit ganz dem Instrument widmen. Meine Tochter möchte diesen Weg gehen, also hat die Lehrerin ihren Unterricht intensiviert. Die Idee war auch, sie mit anderen zusammen spielen zu lassen und so neben dem Unterricht, die Freude am gemeinsamen Musizieren zu entdecken. Auf eigenen Wunsch ist sie Anfang des Jahres also in ein Quartett mit anderen Schülern eingetreten. Das war leider ein völliger Reinfall, weil die anderen nicht geübt haben und schief und krumm gespielt haben, was zu grosser Frustration bei meiner Tochter geführt hat. Das Schulorchester, das ihren technischen Möglichkeiten entspricht, hat das selbe Problem, sie erträgt es nicht, wenn die anderen falsch spielen. Sie hat ein exzellentes Rhythmusgespür und ein sehr feines Gehör und erkennt sofort einen falschen Ton. Leider ist ihre Toleranzgrenze gegenüber anderen was die Musik anbelangt sehr niedrig. (Sie hasst es, wenn der Bruder schief singt oder die Schwester den Rhythmus auf dem Klavier nicht halten kann). Aktuell ist es also das Ziel, ihre Technik so weit zu verbessern, dass sie mit den grossen Schülern zusammenspielen kann, aber das bedeutet natürlich viel mehr technische Arbeit. Um das Pensum der Lehrerin zu schaffen, müsste sie täglich eigentlich mindestens eine Stunde üben, dafür bleibt aktuell neben der Ganztagsschule, einer zusätzlichen Stunde Musiktheorie (Pflicht an der Musikschule) und zweimal die Woche Sport (den ich super wichtig als körperlichen Ausgleich finde) kaum Zeit. Ich habe den Eindruck sie ist müde und vermisst plötzlich den Spass am musizieren. Sie kann frei entscheiden, ob sie diesen intensiven Weg gehen will und sie bestätigt das immer. Am liebsten würde sie noch Gesangs- und Klavierunterricht nehmen (Klavierspielen bringt sie sich selbst nebenher bei) und in einen Chor und und und… aber beim üben mit der Geige gibt es für meinen Geschmack zu viele Tränen und es fehlt immer mehr der Spass am musizieren. Haben Sie eine Idee, wie sie wieder mehr Freude am Instrument finden kann ?
Vielen lieben Dank für Ihren Rat!
Liebe Frau Koppe,
da ich Ihre Tochter nicht persönlich kenne und auch die konkrete Situation nicht, ist es für mich schwierig, einen Rat zu geben. Ihre Tochter scheint sehr viel Freude an der Musik zu haben. Wenn sie im Moment kein passendes Ensemble hat, in dem sie mitwirken kann, würde ich als Überbrückung den Schwerpunkt auf den Einzelunterricht und das Zusammenspiel mit der Lehrerin setzen. Aus Ihrer Beschreibung entnehme ich, dass Ihre Tochter mit Ganztagsschule, Geigenstunde, Musiktheorie und zweimal die Woche Sport bereits ein ziemliches Wochen-Pensum zu erledigen hat. Wenn man dann die „Leistungslatte“ dazu noch sehr hoch legt, kann die Freude schon mal in Überforderung und Frustration umkippen. Manchmal kommt es nämlich vor, dass ein Kind extrem hohe Anforderungen an sich selbst stellt, dass es unbedingt alles perfekt machen will. In so einem Fall finde ich wichtig, dass die Freude am Musizieren vor lauter Leistungswillen nicht verloren geht. Dass das Kind sich auch zufrieden fühlen kann, wenn mal etwas nicht hundertprozentig gut ist. Im Leben gibt es immer Situationen, die nicht hundertprozentig so sind, wie wir sie uns wünschen. Trotzdem kann man auch an einer Situation, die nicht zu hundert Prozent der eigenen Vorstellung entspricht, sondern vielleicht nur zu 80 Prozent, seine Freude haben. Wer diese Fähigkeit kultiviert, auch schon als sehr junger Mensch – mit Hilfe seiner wichtigsten Bezugspersonen – geht mit viel mehr Freude durchs Leben. Da ich Ihre Tochter nicht kenne, weiß ich nicht, ob ein starker Leistungswille auf sie zutrifft. Wie gesagt – es ist schwierig, aus der Ferne die Situation einzuschätzen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls, dass das Kind mit Ihrer umsichtigen Fürsorge als Mutter sich die Freude am Geige spielen auch über so manche kleine „Krise“ langfristig erhalten kann!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg