Ist Geige spielen „uncool“ für Jungs?
In den letzten Jahren gab es bei uns an der Musikschule immer wesentlich mehr Violin-Anmeldungen von Mädchen als von Burschen. Auch in vielen Jugendorchestern ist der Mädchenanteil bei den Violinen meist größer als der Anteil der Jungs. Woran mag das wohl liegen? Finden die Jungs Geige spielen „uncool“?
Alte Traditionen
Bis vor wenigen Jahrzehnten sah man fast ausschließlich männliche Geigensolisten auf den großen Bühnen der Welt. Auch in den Orchestern wurde die Violine meist von Männern gespielt. Und das nicht deshalb, weil die Frauen nicht reüssiert hätten!
Glücklicherweise haben wir diese Tradition, den Mädchen Bildungschancen zu verwehren, hinter uns gelassen. Heute kann in unseren Breiten jeder junge Mensch – ob Bursche oder Mädchen – den von ihm oder ihr angestrebten Beruf bei entsprechender Eignung erlernen. So haben wir mittlerweile an den Gymnasien und Universitäten, aber auch an den Musikausbildungs-Instituten einen sehr hohen Mädchenanteil.
Neue Vorbilder
Im Laufe der Zeit haben sich aber nicht nur die Traditionen, sondern auch die Vorbilder geändert. Galt seit dem 19. Jahrhundert der berühmte Geigenvirtuose Paganini als größtes Vorbild für viele Musiker, später folgten dann Heifetz, Oistrach, Menuhin und viele andere, so sind es heutzutage öfter hochbegabte, virtuose junge (und meist sehr gut aussehende) Geigerinnen, denen die Musikwelt zu Füßen liegt, und die eine große Vorbildwirkung auf unseren Geigennachwuchs haben.
Neben dem klassischen Musikbetrieb gibt es aber auch noch den Crossover-Bereich, der ebenso eine große Faszination auf viele unserer jugendlichen Instrumentalisten ausübt. Auch hier gibt es sowohl männliche als auch weibliche Vorbilder, die unsere Schüler und Schülerinnen immer wieder begeistern und zu eigenem aktivem Musizieren anregen. Vor allem David Garrett ist hier im Moment bei den Jungs (aber auch bei den Mädels) der absolute Renner. Auch sehr beliebt – vorrangig bei den Mädchen – ist die amerikanische Geigerin Lindsay Stirling mit ihren Musikvideos. Mit diesen Idolen – sowohl aus dem Klassik- als auch aus dem Crossover-Bereich – vor Augen finden die Schüler – egal ob Junge oder Mädchen – Geige spielen alles andere als „uncool“!
Gefühl der Zugehörigkeit
Neben den Vorbildern spielt aber noch etwas anderes eine ganz große Rolle, Jungen sowie Mädchen zu motivieren, Geige zu spielen: Das Gefühl der Zugehörigkeit. Ein Streichinstrument ist ein typisches „Gemeinschafts-Instrument“. Man kann heutzutage schon von der ersten Geigenstunde an gemeinsam mit anderen musizieren. Dieses gemeinsame Lern- und Musiziererlebnis spornt immer wieder an. Es verbindet. Es entstehen wertvolle Freundschaften mit Gleichgesinnten.
Zitat eines Geigenschülers: „Ich finde es total cool, wenn man etwas besonders gut kann. Am liebsten mag ich die intensiven Proben vor einem Konzert. Es gibt einen starken Zusammenhalt unter den Musikern.“
Das gemeinsame Lernen und Ausüben von Musik ist für junge Menschen oft eine so tiefe emotionale Erfahrung, dass sie für das ganze Leben prägend wirkt. Von den Jungs und Mädels in meiner Geigenklasse findet das jedenfalls niemand „uncool“. Im Gegenteil, auch die Jungs sind stolz darauf, ein Teil dieser Musizier-Gemeinschaft zu sein! Sie sind stolz darauf, Geige zu spielen.
Wie ist das bei den Jungs in Ihrem Instrumentalunterricht? Fragen Sie sie doch einmal frank und frei, ob sie Geige spielen „cool“ finden, und was sie diesbezüglich für Vorbilder haben! Das Ergebnis Ihrer Umfrage würde mich sehr interessieren!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Ich beobachte im Moment eher die Tendenz, dass sich wieder mehr Jungen für die Geige anmelden. In meinem Streichorchester (Anfänger, Grundschulalter) spielen zur Zeit 8 Jungen und 10 Mädchen. Ich unterrichte selbst zur Zeit 5 Jungen und 7 Mädchen verteilt auf Geige und Bratsche.
Das ist aber erfreulich!
Liebe Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Bei uns an der Musikschule sind auch etwas mehr Mädchen als Jungen. Es ist aber nicht besonders signifikant. Musik ist einfach ein Geschenk, dass dürfen wir Lehrer vermitteln:)
Ja, es ist wirklich ein Geschenk! Auch für uns Lehrer!
Hallo,
ein Geigenschüler von mir hatte anfangs mit 7 Jahren viel Freude an seiner Geige. Aber jetzt wo er 10 Jahre alt ist meinte er, dass Geige spielen peinlich ist, weil es ein Instrument für Mädchen sei. Er hat viel Potenzial und ist drei Jahre lang ein sehr guter Schüler gewesen. Aber mittlerweile ist er unmotiviert wegen seiner Einstellung.
Ich weiß nicht, wie ich ihn von diesem vorurteilsbehafteten und engstirnigen Denken abbringen kann. Man fragt sich von was für einem Umfeld er beeinflusst wird. Und das ist, fürchte ich der Punkt. Jungs finden Geige spielen nur solange cool, wie ihr Umfeld (z.Bsp. Klassenkameraden,Freunde) es genauso sieht.
Schöne Grüße.
Das ist sehr schade! Haben Sie ihn denn schon selber gefragt, wie er zu dieser „Meinung“ gekommen ist? Kinder werden immer von ihrem Umfeld beeinflusst. Manchmal genügt schon eine kleine spöttische Bemerkung! In so einer Situation helfen meist starke Rollen-Vorbilder. Gibt es noch andere Jungs in Ihrer Geigenklasse, die ihm ein Vorbild sein könnten, oder mit denen er gemeinsam musizieren könnte? Oder könnte er eventuell in einem Streicher-Ensemble mitspielen, wo er andere Geige spielende Jungs kennen lernen und sich mit diesen anfreunden kann?
Manchmal hilft auch ein kleiner Abstecher in die Welt der Popmusik. Auch in diesem Bereich gibt es unzählige Arrangements für Violine. Eventuell helfen auch Idole wie ein David Garrett weiter. Als erstes gilt es aber, herauszufinden, was die wirkliche Ursache ist. Ich wünsche Ihnen viel Einfühlungsvermögen und die Energie, ihn wieder zu begeistern!