Streichinstrumente nur für „talentierte“ Schüler?
Unlängst habe ich einen Post in einer Facebook-Gruppe gelesen, der lautete sinngemäß etwa so: „Ich denke, jeder stimmt mir zu: Nicht jedes Kind sollte zum Fußball-Training gehen. Warum aber denken so viele Leute – sogar Lehrer – dass das bei Musikinstrumenten anders sei? Oder umgekehrt: Sollte man manche Kinder nicht lieber Fußball spielen lassen, anstatt hunderte von „Tricks“ zu erfinden, um ihnen über ihre Schwierigkeiten beim Erlernen der Violine „drüberzuhelfen“?
Soweit die Aussage. Nach diesem Statement sollte also das Erlernen eines Streichinstrumentes (sowie auch des Fußballspielens) vor allem den (auf dem jeweiligen Gebiet) „talentierten“ Schülern vorbehalten sein. Wie denken Sie als Instrumentalpädagoge/ -pädagogin über diese Aussage?
Frage der Zieldefinition
Für mich stellt sich hier als erstes die Frage der Zieldefiniton. Wenn ich einen Schüler unterrichte, dann gehen wir gemeinsam ein Stück seines Lebensweges. Die Frage ist nun: Wohin gehen wir? Was ist das Ziel des Schülers? Was möchte er im Instrumentalunterricht erreichen? Möchte er ein Virtuose werden? Möchte er mit anderen gemeinsam musizieren? Möchte er die Musik erkunden, um selber Musik zu „erfinden“? Und was könnte mein Ziel als Lehrer mit diesem Schüler sein? Ist es mir wichtig, dass er ein virtuoser Instrumentalist wird? Oder ein kreativ mit Musik umgehender Mensch mit instrumentalen Fertigkeiten?
Schüler „befähigen“
Ich denke, die Ziele unserer Schützlinge sind so unterschiedlich und vielfältig wie unsere Schüler selbst. Ich sehe meine Aufgabe darin, jeden Schüler zu befähigen und zu unterstützen, dass er seine Ziele erreichen kann, sei es nun die Teilnahme an einem Wettbewerb, das Mitspielen im Jugendorchester, das Komponieren eines eigenen Musikstückes mit Hilfe seiner musikalischen und instrumentalen Fähigkeiten und Fertigkeiten, oder ein anderes Ziel.
Aufgeben, wenn es nicht „leicht“ geht?
Was tun, wenn einem Kind das Erlernen des Streichinstrumentes nicht gerade leicht fällt? Ist es deswegen gleich ein „hoffnungsloser Fall“? Wenn man hier vorschnell den Instrumentalunterricht beenden würde, könnte man unter Umständen dem Kind „eine ganze Welt zerstören“. Was ist denn Lernen anderes, als aus der Komfortzone herauszutreten und allerlei Schwierigkeiten zu überwinden? Tun wir das nicht alle jeden Tag? Und diese Möglichkeit wollen wir einem Kind verwehren, nur weil es eventuell etwas länger braucht, als ein anderes gleichaltriges Kind? Lesen Sie dazu auch den Beitrag zu „Talent haben oder Talent entwickeln“.
Methodenvielfalt
Hier ist Kreativität und Methodenvielfalt des Lehrers gefragt. So lange ein Kind etwas lernen will und auch anstrengungsbereit ist, besteht kein Grund, es vom Unterricht auszuschließen. Mit Geduld und guter Anleitung kann jedes Kind lernen. Einen guten Lehrer erkennt man nicht daran, wie weit er seine „talentiertesten“ Schüler bringt, sondern am Niveau seiner gesamten Klasse.
Stärken und Schwächen
Jeder Mensch, der Musik liebt, kann Musik machen. Sicher gibt es manche, denen fällt es leichter als anderen. Dafür hat ein anderer aber eventuell mehr Ausdauer. Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen. Musik bereichert das Leben ungemein, vor allem, wenn man selber aktiv musiziert. Deshalb sollten wir jedem Kind die Möglichkeit bieten, sich musikalisch gemäß seiner Möglichkeiten zu entfalten.
Lernen ist nicht immer „easy“
Junge Menschen können heutzutage selber wählen, ob sie gerne ein Musikinstrument erlernen möchten oder lieber etwas anderes tun. Das ist ihre Entscheidung. Einen jungen Menschen aber wegen „vermeintlich mangelnden Talentes“ vom Instrumentalunterricht auszuschließen, sehe ich als äußerst problematisch an. Wie oft schon haben sich Kinder – selbst nach längeren „Anlaufschwierigkeiten“ – wunderbar entwickelt? Beim Lernen läuft nicht immer alles „easy“, das haben wir doch alle selber auch schon erfahren. Geben wir also unseren jungen musizierwilligen Schülern auch die Zeit, die sie für ihre persönliche Entwicklung brauchen! Bestärken und ermutigen wir sie! Kreieren wir für sie eine Umgebung, in der sie sich musikalisch entfalten können!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Wie sehen Sie das? Sollte Instrumentalunterricht nur „talentierten“ Schülern vorbehalten sein? Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen!
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Für mich stellt sich zunächst die Frage, WER dies gepostet hat. Jemand, der selbst zu etwas gezwungen wurde, was er nicht wollte, zu dem er keinerlei emotionalen Zugang hatte? Jemand, der dies bei anderen beobachtet hat, z.B. Eltern, die ihr Kind dazu gezwungen haben, Geige zu lernen gegen den Widerstand des Kindes? Oder mal nur so allgemein dahin gesagt? Was ist der Erfahrungshintergrund des Schreibers/der Schreiberin? Womöglich gar ein Instrumentallehrer??? Ich finde, jeder Mensch, der Geige lernen möchte, sollte es versuchen – egal auch in welchem Alter. Alles weitere liegt in der Hand empathischer Pädagogen/Pädagoginnen.
In einigen Bundesländern – z.B. bei mir in Hamburg gibt es an vielen Grundschulen das JeKi-Programm, wo jedes Kind der 3. und 4. Klassen als Pflichtfach Instrumentalunterricht in einer Gruppe erhält. Ich selbst leite dort seit einigen Jahren Geigengruppen. Die Voraussetzungen der Kinder sind natürlich sehr, sehr verschieden. Einige Kinder können am Ende kaum mehr als leere Saiten spielen. Dennoch sind sie beim gemeinsamen Musizieren ein wichtiger Teil. Und wenn sie am Ende beim Abschlusskonzert mit Lampenfieber im Bauch ihre Musik präsentieren und der Beifall kommt, leuchten ihre Augen. Dieses Erlebnis möchte ich niemandem nehmen!
Herzliche Grüße
Irmgard Fliegner
Liebe Frau Fliegner,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Die leuchtenden Kinderaugen geben Ihnen recht!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Ihr Lieben
….hat sich denn die Schule auch schon gefragt, ob man zukünftig nur den Mathetalenten MAthematik erteilt, den Sprachtalenten mehr als eine Fremdsprache zumutet und motorisch wendig ausgeprägten Kindern in den Sport einbindet?
Spielen in einer Sportstunde nicht alle Fussball??? erklärt sich Lust ausschliesslich über Talent???
ICh bin nach wie vor der Überzeugung, dass Instrumentalunterricht in den Stundenplan gehört; staune unfassbar, dass sich diese elitären Gedanken hartnäckig halten.
herzlich
Ursula
Liebe Ursula,
ja, es wäre gut, wenn der Instrumentalunterricht zu einer allgemeinen Schulbildung selbstverständlich dazugehören würde! So, wie das Kulturgut Sprache sollte auch das Kulturgut Musik mit der gleichen Wertigkeit weitergegeben werden! Nicht nur als „unwichtiges Nebenfach“!
Liebe Grüße,
Andrea
Sehr geehrte Frau Holzer- Rhomberg, ich möchte Ihnen zum Thema „Streichinstrumente nur für talentierte Schüler?“ antworten und ebenso zustimmen! Solange die Freude am eigenen Musizieren und die Motivation zum Üben beim Schüler/ der Schülerin noch in irgendeiner Form erkennbar bleibt – also ein Fünkchen Hoffnung ist, macht es für mich immer Sinn „dran zu bleiben“! Meiner Erfahrung nach merken weniger talentierte Schüler auch häufig selbst, wann sie am Endpunkt ihrer persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten auf dem Instrument angekommen sind und sie entscheiden dann selbst (mit), wenn es womöglich sinnvoller ist, den Unterricht an dem erreichten Punkt abzubrechen.Falls man es als Lehrer geschafft hat diesen Schüler/ diese Schülerin bis dahin mit einer individuell angepassten Methodik, Geduld und kontinuierlichem Engagement zu begleiten, werden die Jahre des eigenen Musizierens bestimmt in guter Erinnerung bleiben und auch die Liebe zur Musik, in welcher Form auch immer, bestehen bleiben. Dieses Ziel ist es wert auch weniger begabte Schüler/ innen zu unterrichten und sie in ihrem eigenen Musizieren und nach ihren persönlichen Möglichkeiten zu unterstützen und zu fördern. Mit herzlichem Gruß, Christiane Strootmann
Sehr geehrte Frau Strootmann,
Sie sprechen mir aus dem Herzen! Schüler, die gute Erinnerung an ihren Instrumentalunterricht haben, gehen auch gerne in Konzerte und fangen auch oft als Erwachsene wieder an, selber zu spielen.
Liebe Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
auch ich stimme zu, dass man den Unterricht auf jeden Schüler individuell zuschneiden sollte und auch weniger schnell lernenden Kindern das Geigespielen nahe bringen kann.
Allerdings gibt es für mich als Lehrerin inzwischen eine Schmerzgrenze: wenn man keinen Gruppenunterricht hat, sondern Kinder im Einzelunterricht, die nach Jahren immer noch kein fis von f unterscheiden können und stattdessen großzügig einen ähnlichen Ton greifen, wird meine persönliche Frustration zu groß. Ich muss auch darauf achten,dass es mir gut geht beim Unterrichten, meine Geduld ist nicht unendlich strapazierfähig und ich möchte auch Erfolgserlebnisse haben im Sinn von „schöne Musik machen“ mit dem Schüler.
Als ich vor Jahren einige sehr schwache Schüler Montag nachmittags nacheinander hatte, war mir danach auch die Lust vergangen, die motivierten, talentierten Schüler, die am Abend noch kamen zu unterrichten. Ich dachte ernsthaft darüber nach, mir einen anderen Job zu suchen. Schließlich bin ich aber zu dem Ergebnis gekommen, einigen auf möglichst positive, nicht verletztende Weise nahezulegen, zu einem anderen Instrument oder einem anderen Lehrer zu wechseln und seitdem bin ich wieder zufrieden mit meinem Beruf.
Liebe Frau Huber,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie sprechen etwas ganz Wichtiges an: Sie sagen, Sie müssen auch darauf achten, dass es Ihnen gut geht beim Unterrichten. Da kann ich nur zustimmen. Wenn es der Lehrperson nicht gut geht, wenn sie genervt, gestresst oder ungeduldig ist – das kann ganz verschiedene Gründe haben – ist es viel schwieriger, sich in Ruhe auf einen Schüler einzulassen und herauszufinden, was dieser gerade braucht, um etwas zu verstehen oder umsetzen zu können. Voraussetzung ist aber auch, dass der Schüler verstehen und umsetzen will. Wenn es den Schüler ganz offensichtlich nicht interessiert, ob da jetzt ein f oder ein fis steht, dann darf man schon mal abklären, ob man noch ein gemeinsames Ziel hat!
Liebe Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
jeder, der etwas lernen will, sollte die Möglichkeit dazu haben. Grundvoraussetzung ist immer die intrinsische Motivation,aus einem selbst heraus. Talent hin oder her, solange das Tun motiviert ist und Freude macht, lohnt es immer. Ist der Schüler nicht so talentiert, ist eben das Geschick des Pädagogen gefragt, das Beste heraus zu holen. Dabei lernt auch der Pädagoge sehr viel, sogar mehr, als bei talentierten Schülern, die sofort umsetzen können. Der Schüler sollte immer bei guter pädagogischer Begleitung seine Großartigkeit im Rahmen seiner Möglichkeiten erfahren und das ist es, was seinen Selbstwert stärkt und ihm ein gutes Gefühl vermittelt. Wer ist schon der Beste, gibt es das überhaupt? Alles ist relativ.
Vielen herzlichen Dank auch für die immer so inspirierenden Newsletter mit dem Hintergrund eines unendlichen Idealismus und soviel Liebe, die da spricht. Ein großes motivierendes Vorbild für uns alle, ganz lieben Dank!
Gabriele Kurz
Liebe Frau Kurz,
ja, ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man bei Schülern, die sich etwas schwerer tun, als Pädagoge viel mehr dazulernt als bei denen, die alles gleich umsetzen können. Dieses Wissen kommt dann wieder den nächsten Schülern zugute!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Manchmal steckt ein Kind fest und keine meiner Ideen hilft weiter. Dann sage ich: „Lass uns das hier jetzt erst einmal abbrechen. Ich werde darüber nachdenken und eine Lösung suchen.“ Und wenn ich dann die Lösung gefunden habe, bin ich glücklich.
Herzliche Grüße
Irmgard Fliegner
Liebe Frau Holzer-Rhomberg !
Meine Schüler sind meine größte Inspirationsquelle. Sobald ein Schüler ein Problem hat, fällt mir sofort was dazu ein.
Ich mache daraus gleich eine Übung oder ein kleines Stück. Deswegen habe ich schon ordnerweise wunderbares
Übungsmaterial, welches die Schüler sehr lieben, weil es immer gleich auf ihren Leib geschneidert ist und Pfiff und Pepp hat.
Von daher sind nicht so begabte Schüler für mich sehr inspirierend und ich freue mich selber, wenn meine Übung ankommt und Wirkung zeigt. Meine Schüler bleiben deswegen völlig unabhängig von Begabung oder nicht bis zum Abitur oder manchmal sogar noch darüber hinaus.
Manche Schüler kommen dabei sehr, sehr weit und manche nicht so sehr.
Aber bei allen kommt etwas sehr Schönes heraus ! Das ist mir wichtig !
Und bei allen ist die Liebe zur Musik ganz tief verankert und ich würde mich sehr freuen, wenn meine Schüler später,
wenn sie selber erwachsen sind, rückblickend sagen würden : Das war sehr schön !
Von daher sind begabte so wie nicht ganz so begabte Schüler sehr bereichernd für mich. Eben auf unterschiedliche Art und Weise.
Als letzten Punkt möchte ich sagen, dass ich alle meine Schüler durch ihre Jugendzeit begleite und mich als Teil ihrer persönlichen Entwicklung begreife. Das ist ein sehr schöner Teil dieses Berufes. Da spielt die Begabung gar nicht so eine große Rolle.
Ich freue mich über die Entwicklung der Kinder und ich verpasse jedem ein großes Selbstbewußtsein.
Das finde ich wichtig. Die Kinder sollen erblühen !
Ich schließe mich da ganz Suzuki an, der sagt : Erziehung ist Liebe !
Herzliche Grüße von Christine Dreismann !
Liebe Frau Dreismann,
vielen Dank für Ihren so schönen Kommentar! Da wird mir ganz warm ums Herz! So, wie Sie das beschreiben, ist der Instrumentalunterricht nicht nur für die Kinder eine große Bereicherung, sondern auch für Sie als Lehrperson!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg