Digitalisierung im Musikschulunterricht
Die Digitalisierung ist derzeit in aller Munde. Auch auf dem Bundes-Fachgruppentreffen der österreichischen KOMU war dies ein zentrales Thema. Ob mit der Digitalisierung aber auch alles besser wird, das sei dahingestellt. Selbstverständlich kann Digitalisierung vieles erleichtern, z. B. im Verwaltungsbereich einer Musikschule. Auch im Unterrichtszimmer gibt es nützliche digitale Helferlein, z. B. das Smartphone als Stimmgerät, als Metronom usw. oder das Tablet als Notenbuch. Darüber habe ich in einem früheren Beitrag schon einmal geschrieben. Ich persönlich bin immer offen für Neue Ideen. Gerne setze ich mich damit auseinander und teste sie. Um sie wirklich in meine Arbeit zu integrieren, müssen sie für mich aber eine deutliche Verbesserung des bereits vorhandenen Standards darstellen.
Digitalisierung im heutigen Musikschulalltag
Welche digitalen Technologien werden im heutigen Musikschulalltag bereits regelmäßig genutzt? Führen Sie Ihr Klassenbuch und ihre Anwesenheitslisten bereits digital? Wie kommunizieren Sie mit Ihren Schülern? Wie koordinieren Sie Ihre Termine?
Kommunikation über das Smartphone
Die Kommunikation läuft heutzutage größtenteils über das Smartphone ab. Ist ein Schüler krank, wird mir das meist von ihm bzw. seinen Eltern durch eine SMS oder eine Whatsapp-Nachricht mitgeteilt. Ebenso wenn der Bus im Stau steht oder dergleichen und das Kind sich deswegen etwas verspäten wird. Das finde ich sehr praktisch, denn dann weiß ich, dass ich mir keine Sorgen machen muss, wenn ein Kind nicht rechtzeitig zum Unterricht erscheint. Zudem kann ich – sollte jemand nicht zum Unterricht kommen können, die Unterrichtszeit kurzfristig an ein anderes Kind vergeben. Das ist besonders vor Konzerten oder Wettbewerben von großem Nutzen.
Hörbeispiele auf You Tube
Kinder können sich ein Musikstück, das sie gerade studieren, in unzähligen Aufnahmen auf Plattformen wie You Tube anhören bzw. ansehen. Durch den Vergleich der verschiedenen Interpretationen können sie sich inspirieren lassen und sich selber eine Meinung bilden. Ich persönlich hätte in jungen Jahren diese Möglichkeit sehr geschätzt!
Stimmgerät und Metronom
Das Stimmgerät hilft den Schülern zu Hause, ihr Instrument doch ziemlich genau zu stimmen. Im Unterricht bevorzuge ich nach wie vor das Stimmen nach dem „a“ des Klaviers (da wir ja meist mit Klavierbegleitung musizieren) und nach Gehör in reinen Quinten. Das Metronom ist ein treuer Begleiter, wenn es darum geht, ein Tempo halten zu lernen. Man kann auch sehr gut rhythmisches Blattspiel und dgl. mit Metronom trainieren.
Aufnahmefunktionen
Ebenso nützlich finde ich Aufnahme-Apps, vor allem solche, von denen man direkt aus der App heraus die Aufnahme an das Gerät des Kindes bzw. der Eltern schicken kann, z. B. als Hörbeispiel oder als Übe-Begleiter. Manchmal nehme ich ein Kind beim Spielen einer Passage auch auf Video auf, um mit ihm gemeinsam dann das Video zu besprechen: „Was war gut? Was möchtest Du eventuell noch verbessern?“ Selbstverständlich wird das Video nach der Besprechung sofort wieder gelöscht, denn hier geht es nicht um die Dokumentation eines Ergebnisses, sondern um das Bewusstmachen des eigenen Tuns und das Lernen aus dieser Momentaufnahme.
Speedshifting-Apps
Was ich auch sehr nützlich finde ist eine Speedshifting-App. Oft denken Kinder, sie können ein Musikstück sofort so schnell spielen, wie es auf der Mitspiel-CD zu hören ist. Die Enttäuschung ist groß, wenn das nicht klappt. Natürlich sollen unsere jungen Musiker verstehen lernen, dass gewisse spieltechnische Fertigkeiten in höherem Tempo erst nach regelmäßigem Üben gut funktionieren können. Man kann das Musikstück aber durchaus auch etwas langsamer spielen und erst allmählich das Tempo steigern. Dabei ist die Speedshifter-App sehr hilfreich.
Weitere digitale Möglichkeiten
Es gibt mittlerweile unzählige Apps für jedes Teilgebiet der Musik. Gehörbildungs-Apps, Musiktheorie-Apps, Intonations-Apps, Notenlese-Apps, Begleitungs-Apps, um nur einige zu nennen. Um solche Apps sinnvoll einsetzen zu können, müsste man sie aber gründlich testen und sehen, welche Funktionen im eigenen Unterricht nützlich sein könnten. Ich habe bis jetzt einige getestet, Intonations-Apps, Notenlese-Apps, Rhythmus-Trainings-Apps, …
So richtig überzeugt hat mich bis jetzt keine. Die Intonations-Apps arbeiten meist mit visueller Darstellung von „zu hoch“ und „zu tief“. Wenn mir jemand aber immer nur sagt, das ist zu hoch oder zu tief, wie soll ich dann lernen, was richtig ist? Wie soll ein Kind auf diese Art eine Tonhöhenvorstellung entwickeln? Da greife ich lieber zurück auf die „gute alte Solmisation“, mit der die Kinder wirklich das Innere Hören entwickeln können. Außerdem fehlt mir beim Intonationslernen mittels so einer App das Hören der Obertöne, das Vibrieren der Saiten und die Haptik des Griffbretts. Auch Intonationslernen ist ein ganzheitlicher Prozess, bei dem Sinneseindrücke aller Sinne miteinander vernetzt werden!
Auch beim Notenlesen setze ich lieber auf materielle Flash-Cards anstelle der digitalen. Das Angreifen, Legen, Umlegen, das „Greifen“, das „manuelle Hantieren“ mit den Karten, geht dem „Begreifen“ voraus.
Eine App kann vielleicht eine kleine Unterstützung sein für das Üben zu Hause. Sie kann aber niemals ein Ersatz für die zwischenmenschlichen Interaktionen im Unterricht sein. Wie oft erlebe ich, dass es vor allem meine persönliche Beziehung zum Schüler und meine eigene Begeisterung für Musik und Lernen sind, die den Schüler mitreißt und inspiriert, sich selber weiterzuentwickeln. Diese gemeinsam aktiv gestaltete „Lernreise“ ist es, die sowohl Schüler als auch Lehrer in der persönlichen individuellen Entwicklung weiterbringt! Dies ist mir durch die intensive Diskussion über die Digitalisierung im Musikunterricht wieder einmal sehr bewusst geworden!
Verwenden Sie erfolgreich Apps im Unterricht? Wenn ja, welche? Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
da ich mit all diesen Dingen nicht aufgewachsen bin, nutze ich nicht so viel Digitales. Was ich allerdings nutze ist YouTube. Ich finde es eine gute Möglichkeit, den Schülern zu sagen: „Hör dir dies Stück mal an. Ich könnte mir vorstellen, dass es dir gefällt.“ Oder: eine Schülerin z.B. hat sich neulich ihr Stück aufs Smartphone geladen und auf dem Schulweg im Bus angehört. Sie hatte dadurch eine deutlich hörbare musikalische „Verbesserung“ erreicht. Was mir persönlich sehr viel Spaß macht ist, dass ich über die YouTube-Auswahl bereits so einige wunderbare, mir unbekannte Stücke entdeckt habe.
Um Intonations Apps habe ich mich noch nicht gekümmert. Ich könnte mir denken, dass das besser mit mir als Lehrerin klappt, denn was nützt es einem Kind, wenn es zwar den richtigen Ton trifft, aber nicht weiß, was an der Haltung falsch war. Manchmal liegt es ja einfach daran, dass die ganze Hand verrutscht ist oder der Daumen in der falschen Lage ist. Oder die Handhaltung ist korrekt, aber der Finger muss sich etwas mehr strecken. Usw. Als Lehrerin bin ich viel flexibler in den Aufgaben, die genau zu dem jeweiligen Kind passen. Und dabei wollen wir ja auch noch Spaß haben und ab und zu mal lachen, wenn ein Finger zur Zeit etwas renitent ist.
Vor ca. einem Jahr sind zwei Schülerinnen zu mir gewechselt, eine Anfängerin und eine Fortgeschrittene. Beide hatten eine gruselige Intonation. Sie hatten beide eher mechanisch das Geigen gelernt und mochten ihre Lehrerinnen nicht wirklich – bis zu Tränen nach dem Unterricht und unglücklich. Zum Glück mochten sie die Geige noch. Wenn ich denen eine IntonationsApp empfohlen hätte, wäre das sicher kontraproduktiv gewesen.
Manchmal schlage ich meinen Schülern vor, ihr Stimmgerät zu Hilfe zu nehmen – aber wirklich sehr dosiert und sehr gezielt.
Wozu ich noch keine endgültige Haltung habe ist das Nutzen des Tablets für Noten. Einerseits finde ich das richtig gut, andererseits kostet das enorm viel Energie und der große Zusammenhang ist gesellschaftlich noch nicht so recht überschaubar.
Herzliche Grüße
Irmgard Fliegner
Liebe Frau Fliegner,
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar! Ja, das „analoge“ Unterrichten lässt uns auf jeden Schüler individuell eingehen. Eine App kann das nicht ersetzen. Zumindest derzeit noch nicht, aber wer weiß denn schon, was da alles noch kommt? Wir stehen ja eigentlich erst am Aanfang dieser Entwicklung. Sicher werden die Apps in Zukunft noch mehr an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst sein. Ich persönlich liebe aber nach wie vor die intensive „lebendige“ Zusammenarbeit mit den Schülern im Unterricht. Ich denke, es wurde schon so vieles digitalisiert, sodass der Instrumentalunterricht mit einem „lebendigen“ Lehrer für die Kinder zu etwas ganz Besonderem wird. Wo haben denn die Kinder von heute einmal die volle Aufmerksamkeit eines Erwachsenen für sich alleine? Wir Instrumentallehrer sind oft ganz wichtige Bezugspersonen für die heranwachsenden Kinder und Jugendlichen. Auch das wird eine App wahrscheinlich niemals ersetzen können.
Beste Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg