Lampenfieber – was tun?
Wahrscheinlich kennt es jeder Musiker bis zu einem gewissen Grad: Lampenfieber. Sogar große Künstler berichten davon, selbst nach vielen Jahren Konzertpraxis vor Auftritten immer noch Lampenfieber zu haben. Natürlich haben diese Musiker gelernt, damit umzugehen, sonst könnten sie ihren Beruf ja gar nicht ausüben.
Auch bei Musikschulvorspielen kann es bei den Schülern durchaus zu Auftrittsängsten kommen. Die jungen Musiker empfinden die exponierte Situation auf der Bühne plötzlich als bedrohlich, der Herzschlag wird schneller, der Bogen beginnt zu zittern, die Hände schwitzen, …
Was können wir als Lehrer dazu beitragen, dass unsere Schüler lernen, einen Auftritt zu genießen, statt sich davor zu fürchten?
Sorgfältige Vorbereitung
Das Vorspielstück sollte sorgfältig vorbereitet sein, das versteht sich eigentlich von selbst. Gibt es noch spieltechnische Schwierigkeiten, ist Versagensangst vorprogrammiert. Es ist besser, ein Stück zu präsentieren, das nicht an der obersten Grenze des Leistungsniveaus angesiedelt ist. Das Kind sollte die spieltechnischen Herausforderungen seines Vorspielstückes wirklich so gut beherrschen, dass es den Fokus auf die Gestaltung legen kann. Es sollte dem Publikum eine „Geschichte“ erzählen können mit seiner Musik.
Der Gedanke: „Ich spiele dieses wunderschöne Musikstück so gerne und möchte es nun euch, dem Publikum, vorstellen …“ hilft oft schon, in eine freudige Stimmung zu kommen.
Regelmäßige Auftrittssituationen
Sehr gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, den Schülern möglichst viele Gelegenheiten zum Vorspielen zu verschaffen. Man kann die Kinder in kleinen Schritten an Auftrittssituationen heranführen und so das Auftreten von Lampenfieber von vorne herein vermeiden. Hier ein paar Beispiele:
Gruppenauftritt
Die Kinder dürfen zuerst in einer Gruppe auftreten, da fühlen sie sich sicher. Das Auftreten wird bewusst geprobt: Wie gehen wir auf die Bühne? Wie begrüßen wir das Publikum? Kleine Verbeugung? Dann: Instrumente in Spielstellung, ein kurzer Augenblick der Konzentration (wir stellen uns die ersten Töne des Stückes vor) und los geht’s. Beim Vorspielen versuchen wir, ganz gut auf die Musik und auf die anderen Mitspieler zu hören. Nach dem Vorspiel Instrumente wieder in Ruhestellung nehmen, verbeugen und ins Publikum lächeln als Dank für den Applaus. Dann in Ruhe von der Bühne gehen.
Klasseninternes „Werkstatt-Konzert“
Als gutes Auftrittstraining eignet sich auch ein klasseninternes Werkstatt-Konzert. Jedes Kind darf im geschützen Rahmen der Klasse etwas präsentieren, was es gerade gelernt hat. Das kann ein Musikstück sein, aber auch eine Etüde, eine Tonleiter oder dergleichen. Dabei geht es darum, den Auftritt und die Musik (auch die Tonleiter!) bewusst zu gestalten. Es geht darum, sich auf den Klang und die Gestaltung fokussieren zu lernen. Sobald der Fokus auf der Gestaltung liegt, „vergisst“ man die weichen Knie!
Bei solchen Werkstatt-Konzerten kann man auch wunderbar lernen, mit „Störungen“ umzugehen, z.B. während ein Kind spielt, kommt jemand zur Türe herein oder öffnet das Fenster. Oft sind bei Vorspielen auch jüngere Geschwister dabei. Da kann es schon vorkommen, dass ein „kleiner Zuhörer“ plötzlich zur Bühne krabbelt, weil es dort so interessant ist! Das wird den Vorspielenden nach ein wenig Training aber nicht mehr aus dem Konzept bringen.
Öffentliches Vorspiel
Wer einige dieser oben genannten „Trainingseinheiten“ bereits erfolgreich gemeistert hat, wird auch ein öffentliches Vorspiel nicht mehr „fürchten“. Je mehr positive Vorspiel-Erfahrungen ein Kind erlebt, desto selbstsicherer wird es.
Öffentliche Auftritte müssen auch nicht immer in der Musikschule stattfinden. Meine Schüler lieben die Auftritte außerhalb der Musikschule ganz besonders. Auf einer Bühne im Hafen von Bregenz aufzutreten oder in einer Fußgängerzone unter den Arkaden, das hat schon einen besonderen Reiz.
Wichtig ist, mit diesem Auftrittstraining in jungen Jahren zu beginnen. Sind die Schüler bereits in der Pubertät, ist es wesentlich schwieriger.
Trotzdem Lampenfieber?
Was tun, wenn trotzdem Lampenfieber auftritt? Hier ein paar Tipps:
- Lampenfieber äußert sich in körperlichen Symptomen. Es kommt zu einer erhöhten Adrenalinausschüttung. Deshalb hilft oft ein wenig Bewegung, um das Adrenalin wieder abzubauen, z. B. kurz einmal hüpfen oder ein paar Kniebeugen. Ist der Adrenalinspiegel wieder etwas gesunken, kann man tief durchatmen und sich dabei vorstellen, wie man ganz sicher zur Bühne schreitet und sich dort sehr wohl fühlt.
- Der Schüler kann an eine bestimmte Person denken, für die er nun spielen will. Das kann auch jemand sein, der gar nicht im Raum ist. Wichtig ist allein das Gefühl, gerne für diese Person zu spielen.
- Oft hilft es auch, vorher eine Video-Aufnahme zu machen. Vor der Kamera zu spielen ist ja auch schon eine Ausnahmesituation, die Aufregung verursachen kann.
- Ein paar Sessel aufstellen und für ein imaginäres Publikum spielen ist ebenfalls eine gute Übung.
- Wichtig ist auch, vor dem Auftritt einmal in Konzertkleidung zu proben. Der Schüler sollte sich in seiner „Auftrittskleidung“ frei bewegen können und sich wohl fühlen.
- Einen gesunden Umgang mit Fehlern lernen: Einen „Fehler“ nicht als Katastrophe sehen, sondern weiterspielen und sich auf die kommenden schönen Töne konzentrieren. Am Schluss zählt nur, ob das Publikum emotional berührt wurde!
- Und zu guter Letzt: Ein wenig Aufregung vor dem Vorspiel ist sogar gut! Es macht wach und kann sogar die Leistung steigern.
Wenn man Kinder in sehr jungem Alter ans Vorspielen heranführt, haben sie meist – auch wenn sie älter werden – keine großen Probleme mit Lampenfieber. Viel schwieriger finde ich es, für ältere Schüler, die wirklich darunter leiden, eine passende Strategie zu finden, um sie aus dieser „Negativ-Spirale“ herauszuführen.
Wie gehen Sie mit Lampenfieber bei Ihren Schülern um? Was hat bei Ihren Schülern geholfen? Haben Sie gute Strategien gegen diese Auftrittsängste? Ich finde das ein so wichtiges Thema, da es ja nicht nur das Auftreten in der Musikschule betrifft. Ihre Tipps und Ihre Erfahrungen zu diesem Thema würden mich und die anderen Leser sehr interessieren! Bitte scheuen Sie sich nicht, sie in den Kommentar zu schreiben!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Was immer wieder Wunder wirkt, obwohl es sich im erster Augenblick wie Hokuspokus anhört, sind kinesiologische Klopfpunkte . Ich klopfe sie mit meinen Schülern vor dem Vorspiel und sage einen Spruch dazu, wie z.B.: „Ich habe Freucde am Spiel und bin ganz in der Musik“. Die Kinder berichten, dass sie weniger aufgeregt sind und sich wohl fühlen. https://goo.gl/images/B46bXX
Liebe Frau Lang,
vielen Dank für Ihren Beitrag mit den Klopfpunkten! Ich habe auch schon davon gehört, es aber noch nie mit meinen Schülern ausprobiert. Das werde ich aber jetzt definitiv nachholen! Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das gegen Nervosität hilft! Danke auch für den Link! Zusammen mit Ihrem schönen Spruch könnte das wie ein Ritual werden vor einem Vorspiel, für alle Schüler gemeinsam – egal ob nervös oder nicht – einfach um in eine gute Vorspielstimmung zu kommen, sozusagen ein „Einstimmungsritual“, das Körper, Geist und Seele „vorspielbereit“ macht. Vielen Dank!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Lang,
danke für Ihren Beitrag. Vor vielen Jahren habe ich mich intensiver mit Edukinestetik beschäftigt. Das hatte ich schon fast vergessen! Nun werde ich mir ein Ritual für meine Schüler überlegen.
Herzliche Grüße
Irmgard Fliegner
Guten Spätabend Frau Holzer-Rhomberg,
neben all den wertvollen Tipps für eine gute Vorbereitung möchte ich ein paar Gedanken beisteuern, die zu tun haben mit grundlegenden Bewegungsabläufen beim Spielen, die zum Abbau des Adrenalinspiegels helfen können. Vor nun fast 30 Jahren lernte ich die Methode der großartigen Hamburger Geigenpädagogin Marianne Petersen kennen, von der ich sehr viel gelernt und übernommen habe. Ob ich es ohne Geige in der Hand und „Vormachen“ darstellen kann, weiß ich nicht, aber ich versuche es einfach mal. Meinen Schülern bringe ich bei, sich beim Spielen zu bewegen: Der linke Fuß geht einen Schritt nach vorne. Mit jedem Abstrich bewege ich mich nach hinten, mit jedem Aufstrich nach vorne. Dabei fange ich mit großen Bogenbewegungen im 4/4- Takt an. Später werden dann daraus automatisch Bewegungsmuster, die zu den Schwerpunkten der Musik passen. Wofür ist das gut? Erstens verhindert es irgendwelche unpassenden Ersatzbewegungen. Aber das wichtigste – meiner Meinung nach: Die Spieler bleiben in Bewegung, der Atem fließt weiter; es beugt vor gegen verkrampfte Körperhaltungen, es beruhigt den Puls. Diese Art des sich Bewegens finde ich außerdem sehr hilfreich bei z.B. Kindergruppen, die auf diese Weise recht schnell ein gemeinsames Tempo finden.
Zurück zum Vorspielen. Da ist ja oft die Angst vorm ersten Ton. Ich selbst habe früher gelernt, vorm ersten Abstrich den Bogen schon auf der Saite zu haben. Ich hielt den Bogen fest und tat dann irgendwann den ersten Strich – hoffentlich punktgenau – und der Ton flatterte. Mit meinen Schülern mache ich es anders. Wir halten den Bogen in der Luft, schwingen ihn im Tempo des kommenden Stücks hin zur Saite (in Verbindung mit der vorher beschriebenen Körperbewegung), landen und geben dann zunächst den Bogen ab an die Saite statt ihn festzuhalten, d.h. wir lockern die Finger und übergeben zeitgleich an die erste Armbewegung. Auf diese Weise gelingt der erste Ton und der kann schon entscheidend sein.
Mit meinen Schülern übe ich des Öfteren: „Stell dir den Anfang deines Stückes vor, überlege das Tempo, das du spielen möchtest und stell dir dann vor, wie deine erste Armbewegung hin zur Geige sein wird. Beim ersten ‚Anflug‘ auf die Geige atmest du ein.“
Herzliche Grüße
Irmgard Fliegner
Was ich Ihnen persönlich noch mitteilen möchte: Eine meiner Schülerinnen ist total in den Czardas aus dem Fiedelmax verliebt. Sie spielt inzwischen ganz andere Stücke. Sie ist zur Bratsche gewechselt und hat mit dem Schulorchester Telemann gespielt, aber wenn wir „Wunschkonzert“ machen, ist es immer wieder dieser Tanz! Bei allen Schülern ist „Babuschka tanzt“ ein Dauerbrenner. Ansonsten finde ich es sehr interessant, wer welche Lieblingsstücke hat. Da liege ich mit meinen Prognosen manchmal daneben. Ich selbst mag diese Stücke sehr und bin Ihnen außerdem sehr dankbar für die einfachen Klavierbegleitungen!
Liebe Frau Fliegner,
vielen Dank für Ihren so detaillierten Beitrag! Ja, die Bewegung beim Spielen wirkt sich sehr positiv aus! Ich verwende dafür immer das Bild vom „Baum im Wind“. Ihre Beschreibung des „Einfliegens“ des Bogens für den ersten Ton finde ich wunderbar! Das muss ich mit meinen Schülern einmal ganz bewusst ausprobieren! Das ist ja auch gleichzeitig ein „Einsatz geben“ für den Pianisten!
Herzlichen Dank für Ihre schönen Ideen und ganz liebe Grüße von mir auch an Ihre Schüler, die so fleißig Stücke aus dem „Fiedel-Max“ spielen!
Andrea Holzer-Rhomberg