Wenn Eltern Schülerleistungen vergleichen
„Die Franziska lernt gleich lang Geige wie du, kann aber schon die Polonaise spielen!“ oder: „Der Jonas kann das Perpetuum Mobile aber viel schneller als du!“
Kommen Ihnen solche Aussagen bekannt vor? Manchmal kommt es vor, dass Eltern die musikalische Entwicklung ihres eigenen Kindes mit der Entwicklung anderer Kinder vergleichen. Wie negativ sich so eine Aussage auf ihr Kind auswirken kann, ist ihnen meist gar nicht bewusst. Wenn Eltern Schülerleistungen vergleichen, wie können wir als Instrumental-Lehrer darauf reagieren?
Jedes Kind - jeder Mensch - ist einzigartig
Niemand möchte mit jemand anderem verglichen werden, schon gar nicht, wenn der andere als vermeintlich klüger, besser, schneller oder dergleichen dargestellt wird. Jeder Mensch hat seine ureigensten Potentiale und Eigenschaften. Jeder hat sein eigenes Lerntempo und seine eigene Entwicklungsgeschwindigkeit. Außerdem gibt es auch innerhalb von Lernprozessen bestimmte Phasen. Befindet man sich gerade auf einem Lernplateau, hat man den Eindruck, man kommt trotz Bemühungen nicht weiter. Andrerseits hat bestimmt jeder von uns auch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass nach einer längeren Pause plötzlich etwas geht, was vor der Pause noch nicht möglich war. Ein direkter Vergleich von Schülerleistungen ist also weder sinnvoll noch zielführend.
Wie reagieren?
Machen wir den Eltern immer wieder klar,
- dass der Instrumentalunterricht eine ganz individuelle, bestmögliche Förderung der persönlichen Potentiale ihres Kindes ist. Jedes Kind hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Während ein Kind bereits eine ausgezeichnet entwickelte Tönhöhenvorstellung hat, ist ein anderes eventuell motorisch sehr geschickt. Ein anderes wiederum hat sehr gute kognitive Fähigkeiten, kann sich schnell komplexe Dinge merken.
- dass es nicht um einen Wettbewerb untereinander geht, und auch nicht darum, wer wann welches Stück wie schnell spielen kann, sondern um die Entwicklung der ureigensten Potentiale jedes einzelnen Kindes.
- dass der Fortschritt des Kindes auf dem Instrument in sehr engem Zusammenhang steht mit dem Ausmaß und vor allem mit der Qualität der täglichen Beschäftigung mit dem Instrument.
- dass nur ein einziger „Vergleich“ von Belang ist, nämlich dieser: Wie hat das Musikstück gestern geklungen? Und: Wie klingt es heute? Hat das heutige Üben dazu beigetragen, dass das Musikstück heute besser klingt als gestern? (Und wenn nicht: Was muss ich an meinem Üben heute verändern, dass das Musikstück morgen besser klingt?)
Individueller Fortschritt als Ziel
Eltern meinen es meist nicht böse, wenn sie so eine vergleichende Aussage tätigen. Ich denke, sie wollen grundsätzlich nur das Beste für ihr Kind. Es ist ihnen wahrscheinlich gar nicht bewusst, wie niederschmetternd so ein Vergleich für ihr Kind sein kann. Loben Sie als Lehrperson immer wieder jedes einzelne Kind im Beisein seiner Eltern für seine individuellen Fortschritte! Damit zeigen Sie den Eltern, dass Ihr Fokus auf dem individuellen Fortschritt, auf der bestmöglichen Förderung ihres Kindes liegt! Das wirkt oft Wunder!
Mindset der Eltern wichtig!
Es ist für Kinder unglaublich wichtig, dass ihre Eltern ihnen etwas zutrauen! Kinder sind diesbezüglich sehr feinfühlig. Zeigen Sie als Lehrperson den Eltern Ihrer Schüler immer wieder, dass Sie das volle Vertrauen in das Lernen und die Weiterentwicklung Ihrer Schüler haben, und ermutigen Sie die Eltern, ihren Kindern ihrerseits dieses Vertrauen auch zu schenken und immer wieder offen zu zeigen. So können die Kinder Selbstvertrauen in ihre eigene Lernfähigkeit entwickeln und die Gewissheit erlangen, dass es sowohl den Eltern als auch der Lehrperson wirklich um sie – um ihre Person – und um nichts anderes geht.
Wie gehen Sie damit um, wenn Eltern Schülerleistungen vergleichen? Wie reagieren Sie darauf? Über Ihre Erfahrungsberichte und Ihre Tipps im Kommentar freue ich mich sehr!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Es war einmal ein Gärtner, der pflanzte mit drei Mitarbeiterinnen einen Baum.
Er gab ihnen Anweisungen:
Täglich gießen,
Regelmäßig die Äste kontrollieren und zurückschneiden,
Das Gras am Boden regelmäßig schneiden.
Am nächsten Tag trafen sich die drei Mitarbeiterinnen und beschlossen, den Gärtner zu boykottieren.
Sie würden das Gras nicht zurückschneiden und den Baum auch nicht gießen.
Nach einer Woche wunderte sich der Gärtner über das doch recht lange Gras. Er half den dreien beim Mähen.
Doch der Eifer der Mitarbeiterinnen wurde nicht besser…..
Was glaubt ihr, wie werden die Früchte des Baumes sein, wenn es dem Gärtner nicht gelingt, die Mitarbeiterinnen zu überzeugen, die Etüden des Mähens und Düngens und die Tonleitern des Gießens ernster zu nehmen?
Dies schrieb ich meinen Schülerinnen.
Vergleichen mit der eigenen Leistung und Erklärungen für geringe Fortschritte zu finden ist wichtig.
Vielen Dank für diese schöne Geschichte!
Das Schöne an unserem Beruf ist ja, dass wir jedem einzelnen Kind genau das geben können, was es braucht, und wir nicht nach einem Schema arbeiten müssen, wo wir Schritt für Schritt abhaken müssen. Wir können Umwege gehen, wir können den Kindern über „schwierige Zeiten“ hinweghelfen, indem wir zeitweilig nicht soviel fordern, um dann wieder richtig loszulegen. Mir ist das wichtigste, dass jedes Kind in jeder Unterrichtsstunde ein kleines oder großes Erfolgserlebnis hat. Am Ende soll jedes erarbeitete Stück schön klingen, von diesem Ziel weiche ich keinen Zentimeter ab, da gebe ich nie auf und bin extrem pingelig.
ICH selbst vergleiche meine Schüler NIE, denn ich mag gerade ihre Verschiedenheiten.
All das erkläre ich den Eltern schon im ersten Vorgespräch. Und vielleicht liegt es mit an dieser Haltung, dass bei meinen Vorspielen Konkurrenzen nie auftauchen. Weder unter den Schülern noch unter den Eltern. Ich freue mich darüber, wie alle das Ergebnis der anderen würdigen können. Natürlich gibt es bei dieser Gelegenheit immer auch Schüler, die mit besonderen Vorträgen glänzen. Möglicherweise motivieren solche Erlebnisse alle anderen, mehr zu üben.
Wenn Eltern „zu ehrgeizig“ werden, muss ich natürlich mit ihnen reden und versuchen herauszukriegen, ob deren Wünsche mit denen ihrer Kinder und meinen Vorstellungen kompatibel sind. Einmal hatte ich einen sehr kleinen Schüler, der mir mit gesenktem Kopf gestand, dass er überhaupt nicht Geige lernen möchte und wirklich sehr unglücklich war. Als mich seine Mutter eines Tages anrief, weil sie fand, ich sollte ihn mehr „rannehmen“, sie selbst sei ihren Eltern heute dankbar, dass sie zum Klavierspielen gezwungen worden sei, habe ich ihr gesagt, dass das mit mir nicht funktioniert und sie sich bitte einen anderen Lehrer suchen soll.
Liebe Frau Fliegner,
vielen Dank für diesen ausführlichen Erfahrungsbericht! Ich denke, wir können durch unser eigenes Verhalten als Lehrperson ganz viel dazu beitragen, dass die Schüler auch gegenseitig wohlwollend sind und die Leistungen ihrer Kollegen anerkennen!