Distance Learning im Präsenzunterricht
Was jetzt: Distance Learning oder Präsenzunterricht? Nein, heute geht es nicht um entweder oder, sondern es geht um Distance Learning im Präsenzunterricht.
Ja, wir dürfen an den Musikschulen Präsenzunterricht abhalten. Darüber bin ich sehr froh. Der Unterricht läuft aber definitiv etwas anders ab als „vor Corona“. Wir haben uns beim Präsenzunterricht an gewisse Auflagen zu halten. Ein Mindestabstand muss eingehalten werden, und die Kinder sollten möglichst ohne die manuelle Hilfe des Lehrers auskommen. Außerdem sollten wir keine gemeinsamen Materialien im Unterricht benutzen. Das bewirkt, dass wir so manche Unterrichtssituation methodisch ganz anders gestalten müssen, als wir es bisher taten.
Abstand!
Es mutet schon komisch an, wenn man den abgeklebten Boden sieht: Hier mein Bereich – dort dein Bereich. In der Mitte: Niemandsland … Vor allem bei sehr jungen Schülern ist das eine sehr gewöhnungsbedürftige Situation. Meine jüngsten Schüler konnten sich am Anfang nur sehr schwer daran halten. Immer wieder „hüpften“ sie schnell mal zu mir herüber! Auch für mich war es eine ziemliche Umgewöhnung. Konnte man früher dem Kind schnell bei der Bogenhaltung oder bei der Positionierung der Finger auf dem Griffbrett helfen, muss man sich heutzutage immer überlegen, ob das wirklich absolut notwendig ist, und darf sich dann gegebenenfalls mit Mund-Nasen-Schutz und frisch desinfizierten Händen dem Kind einmal kurz „annähern“.
Man muss also so viel wie möglich verbal erklären, und das Lernen durch Nachahmung spielt auch eine große Rolle. Aber: Wie fühlt sich ein entspannter Arm an? Was früher durch eine kleine Berührung am Arm sofort erfühlt und somit verständlich werden konnte, wie vermittelt man das verbal? Da sind wir als Lehrer immens gefordert, uns adäquate Übungen auszudenken, um den Kindern die Bewegungsabläufe nicht nur kognitiv näher zu bringen, sondern sie diese auch erfühlen zu lassen.
Singen verboten!
Etwas, das mir unglaublich fehlt, ist das Singen. Das gemeinsame Singen der kleinen Liedchen wie dem Geigenhaltungs-Song und dergleichen beim Erlernen der Basics am Instrument hat immer so viel Fröhlichkeit in den Unterricht gebracht. Auch das Solmisieren, das so viel zum musikalischen Begreifen beigetragen hat, vermisse ich sehr. Ich gestehe, dass ich mich an dieses „Verbot“ nicht immer hundertprozentig halte. Wenn, dann aber jedenfalls mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz … und nur kurz. Es kommt mir manchmal so vor, als würde man uns das Lachen verbieten. Beim gemeinsamen Singen hatten die Kinder und ich immer viel gelacht, oft einfach nur, weil die Texte lustig waren.
By the way: Sang und spielte ich einmal mit einer kleinen Schülerin das Lied „Barfuß im Regen“. Da heißt es am Schluss: „…ich hab den Regen so gern und ich brauch keinen Schirm wie die Damen und Herrn!“ Da sah mich die Kleine ganz verschmitzt an und sagte: „Du bist auch keine Dame, gell?“
Keine gemeinsam benutzten Materialien!
Die ganzen spielerischen Lernmaterialien sollen nicht verwendet werden dürfen! Auch diese Auflage finde ich sehr beschränkend. Mit meinen Noten-Systemen aus Holz und Wollfäden und den dazugehörigen Moosgummi-Noten sowie den Rhythmus-Kärtchen und dergleichen konnten die Kinder so wunderbar die musikalischen Phänomene ausprobieren und im wahrsten Sinn des Wortes begreifen lernen. Durch selber tun. Selber Noten und Rhythmen legen, dann spielen, dann verändern und wieder spielen usw. Lernen durch Tun.
Manches davon verwende ich auch beim Distance Learning, aber eben in einer eingeschränkten oder abgewandelten Form. Ich habe in meinem Unterrichtszimmer immer ein zusätzliches „Abstands-Notenpult“ aufgestellt. Auf diesem kann ich Rhythmus-Kärtchen auflegen und immer wieder beliebig oder nach Anweisung des Kindes austauschen. Die sind groß genug, dass das Kind sie von seinem Platz aus lesen und spielen kann. Auch habe ich ein Blattspiel-Übungs-Buch mit recht großem Notendruck im Querformat. Da stehen pro Seite immer 5 Zeilen. Das Spiel geht so: Ich spiele eine Zeile, und das Kind soll erkennen, welche der 5 Zeilen das war. Dann umgekehrt. Dann schwieriger: Wir können die Zeilen auch von hinten nach vorne spielen. Noch schwieriger: Wir spielen nur einzelne Takte von oben nach unten oder von unten nach oben, z.B. von jeder Zeile nur den Takt zwei. Da wird es schon ganz schön knifflig. Da muss man schon ganz gut Noten und Rhythmen lesen können und quasi mit den Augen überall sein! Das Herausfordernde dieses „Spiels“ hilft uns ganz oft über den „Verlust“ der ganzen schönen haptischen Unterrichtsmaterialien hinweg.
Trotzdem gemeinsam Musizieren
Trotz all dieser Auflagen bin ich sehr glücklich, dass ich – auch wenn unsere Schulampel mittlerweile auf orange steht – nach wie vor in der Musikschule unterrichten darf. Der Unterricht ist trotz dieser Einschränkungen gut umsetzbar, und ich hoffe sehr, dass wir – sollte die Ampelfarbe auf rot wechseln – mit Einhaltung dieser Auflagen trotzdem weiterhin in der Musikschule unterrichten dürfen. Ich liebe den direkten persönlichen Kontakt zu meinen Schülern, ich liebe den originalen Geigenklang (der nicht durch eine Internetverbindung „gefiltert“ wird), und ich liebe das gemeinsame Musizieren! Wie schön ist es doch, einen Schüler oder eine Schülerin live am Klavier begleiten zu können! Durch diese letzten Monate ist mir erst so richtig bewusst geworden, wie sehr ich das schätze, und wie sehr das auch meine Schüler schätzen!
Wie geht es Ihnen mit dem Distance Learning im Präsenzunterricht? Was für Erfahrungen haben Sie? Kommen Sie gut damit zurecht? Inwieweit haben sie Ihre Methodik geändert bzw. an die derzeitigen Umstände angepasst? Über Berichte Ihrer Erfahrungen mit dieser Situation hier im Kommentar würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Andrea!
Danke für Deine wunderbaren Anregungen!
Ich habe ein paar sehr junge Anfänger im Einzelunterricht, und weil mein Unterrichtszimmer groß genug ist, darf ein Elternteil mitkommen. Dieser übernimmt nun die Hilfsgriffe nach meinen Anweisungen, was den Vorteil hat, dass er quasi gleich mitübt für zuhause! Großes Lob übrigens vielen geduldigen und ausdauernden Eltern!!
Lisa
Das ist natürlich ideal, wenn ein Elternteil diese Aufgabe übernehmen kann. Bei uns ist derzeit leider für Eltern der Zutritt zur Musikschule komplett untersagt!
Liebe Andrea, herzlichen Dank für Ihren so anschaulich geschriebenen Bericht! Da ich nicht nur Geige unterrichte, sondern auch in der Schule Musikunterricht gebe, bin ich von dem Problem des „Nicht-singen-dürfens“ noch stärker betroffen. Als Lösungen, die eigentlich gar nicht so schlecht funktionieren, habe wir Folgendes gefunden: Sprechen statt singen, und zwar im Rhythmus des Liedes, eventuell mit „Schritten“ (3er oder 4er), Dirigierbewegungen oder Bodypercussion dazu. Das ergibt eine Art „Rap“, der den Kindern recht gut gefällt. Singen ist auch möglich, wenn der Sänger zu den anderen rund herum 2m Abstand hat. In einer Klasse ist das schwierig, manchmal gehen wir dazu raus. Es ist jedoch möglich, dass der Lehrer mit Abstand richtig singt, und die Kinder mit summen. Summen geht tatsächlich auch im Kanon oder zweistimmig.
Herzliche Grüße, Regine
Liebe Regine,
vielen Dank für die wundervollen Ideen! Das Summen könnte man ja beim Solmisieren auch einsetzen. Statt die Silben zu singen kann man sie mit den Handzeichen zeigen und dazu eben summen statt singen.
Liebe Grüße,
Andrea