Gemeinsam ein Lied „erfinden“
Wie lernen Kinder die „Sprache“ Musik am besten? Wie lernen sie, einen Notentext zu lesen und in Musik umzusetzen? Ich denke, man lernt eine Sprache am besten, indem man sie spricht. Damit meine ich einfach durch TUN. So auch in der Musik: Man lernt die „Sprache“ Musik und ihre Zeichen am besten, wenn man damit „arbeitet“. Wenn man die „Schriftzeichen“ der Musik kennen lernt und damit selber etwas kreiert. Deshalb lasse ich sehr gerne meine Schüler im Gruppenunterricht gemeinsam ein Lied „erfinden“. Wie ich dabei vorgehe, darum geht es in diesem Beitrag.
Schritt 1: Einen "Puls" wählen
Fast jedes Musikstück aus unserer abendländischen Musikkultur hat einen Puls, ein Metrum. Als erstes hören wir uns ein paar Ausschnitte von unterschiedlichen Musikstücken an und finden den jeweiligen Puls des Stückes heraus. Anschließend machen wir uns Gedanken darüber, was für einen Puls denn unser gemeinsames „Lied“ haben soll: Soll es eher ein ruhiges Lied werden oder soll es eher flott oder aufgeregt klingen? Nachdem wir uns geeinigt haben, schreiben wir den Puls auf ein Blatt Papier. Das können Kästchen oder Kreise sein, jeder Pulsschlag bekommt so ein „Puls-häuschen“.
Schritt 2: Wir bestimmen den Takt
Nun probieren wir verschiedene Takte aus, indem wir kleine Gruppen von Pulsschlägen zusammenfassen und jeweils den ersten Schlag einer Gruppe etwas betonen. Wir notieren das auf unserem Blatt, indem wir jeweils über den 1. Schlag ein kleines Akzentzeichen setzen, und nach dem letzten Schlag der Gruppe einen Taktstrich ziehen. Meine sehr geschätzte Kollegin Verena Unterguggenberger hat zu diesen Themen wunderschönes Spielmaterial aus Holz entwickelt, mit dem die Kinder durch TUN all diese Schritte lernen. Wer sich für dieses hervorragende ganzheitliche Unterrichtsmaterial zur Musikkunde interessiert, findet es hier auf dieser Website. Ich kann es nur wärmstens empfehlen. (Leider dürfen wir derzeit aufgrund der Pandemie und der notwendigen vorgeschriebenen Hygiene-Maßnahmen dieses Spielmaterial nicht im Unterricht verwenden, deshalb mein Bemühen um eine verständliche optische Darstellung für die Kinder, die man auch im Online-Unterricht verwenden kann.)
Nun schreiben wir also verschiedene Takte auf und spielen sie auf unseren Instrumenten. Dann entscheiden wir uns, welchen Takt unser gemeinsames „Lied“ bekommen soll.
Schritt 3: Die Takte "befüllen"
Jetzt geht es ans „Befüllen“ der Takte mit Rhythmus. Ich beginne mit den Kindern meist mit Viertel- und Achtelnoten und Viertel-Pausen. In unserer Rhythmus-Sprache: ta, titi und pst. Wir „erfinden“ eine Frage und dann dazu eine Antwort. Auf diese Art probieren wir die unterschiedlichsten Kombinationen von ta, tit, und pst aus, spielen sie auf der Geige, und überlegen uns, was gut klingen würde. Hier ein Beispiel:
Schritt 4: Melodie
Nachdem jedes Kind mindestens vier rhythmische „Fragen und Antworten“ aufgeschrieben hat, kommen wir zur Melodie. Hier kommt die Solmisation ins Spiel. Mit den Solmisationssilben kann man wunderbar die Töne singen und sie dazu mit Handzeichen zeigen. Das funktioniert auch im Online-Unterricht hervorragend. Ich beginne immer mit So und Mi.
Nun singen wir die zuvor aufgeschriebenen Rhythmen mit So und Mi. Auch hier probiert jedes Kind unterschiedliche Varianten aus. Zuerst notieren wir die So-Mi-Melodien nur mit zwei Notenlinien, die die Kinder selber auf das Papier schreiben. Später schreiben wir die Melodien dann in unserem 5-Linien-Notensystem auf. Wir besprechen gemeinsam, was gut klingt, und warum uns das eine mehr gefällt als das andere. Schließlich notieren wir das, was uns am besten gefällt: Wir „erfinden“ gemeinsam ein Lied.
Da in der relativen Solmisation jeder Ton ein „So“ sein kann, legen wir auch für die unterschiedlichen Melodie-Varianten unterschiedliche „So’s“ fest. Steht das So auf einer Linie, muss das Mi auf der Linie darunter stehen. Steht das So in einem Zwischenraum, muss das Mi im nächsten Zwischenraum darunter stehen. Hier ein Beispiel:
Wenn Kinder auf diese Art lernen, mit Tönen, Rhythmen und Notenschrift zu „experimentieren“, wird das zu etwas ganz Selbstverständlichem. Es wird ein Teil ihres Musizierens. Es gehört zum Musik machen einfach dazu. Ein Instrument spielen beschränkt sich nicht nur auf das Reproduzieren von vorgegebenen kleinen schwarzen Punkten auf einem Papier, nein, es darf auch eigene Musik gemacht werden, es dürfen eigene Ideen zu Papier und dann zum Klingen gebracht werden. Je mehr sich Kinder aktiv und kreativ mit dieser Sache beschäftigen, desto besser werden sie auch die Musik der großen Meister verstehen lernen!
"Lebendige" Musikkunde
Im Lockdown habe ich begonnen, den Kindern zusätzlich zu ihren Instrumental-Lektionen Online-Gruppenstunden nach der obigen Beschreibung zu geben. Jetzt – da wir wieder in die Musikschule dürfen – wollten die Kinder unbedingt diese Online-Gruppenstunden beibehalten. Was gibt es denn schöneres, als so eine Begeisterung an der Musik und am eigenen und am gemeinsamen Gestalten auszulösen?
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Toll!
Danke!
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
vielen Dank für diese Informationen. Vorzüglich, wie Sie das Komponieren in kleinste Schritte zerlegt haben.
Eine persönliche Frage, die Sie natürlich auch ignorieren dürfen: Bieten Sie die Gruppenstunden einfach als zusätzlichen Service an oder konnten Sie dafür ein Honorar vereinbaren?
Meine Schülerkonzerte über Zoom waren ziemlich erfolgreich, auch wenn die Ton-Bild-Übertragung je nach Gerät und Standort nicht bei allen Schülern optimal war. Ich hatte die Teilnehmer in 4 Gruppen aufgeteilt, damit jedes Konzert nicht zu lang wird. Bei den „Großen“ hatten sich insgesamt 21 Mitwirkende und Zuhörer eingeloggt. Ein großer Vorteil bei Online-Konzerten ist, dass Verwandschaft oder Freunde aus weit entfernten Orten zuhören können. Es waren sogar Gäste aus Frankreich dabei. Die Schüler waren erfreut, sich endlich einmal wieder präsentieren zu dürfen. Leider natürlich meist solo (außer die Eltern spielten ein Instrument). Mit Playalong hat die Übertragung teilweise nicht so gut funktioniert. Die Jüngsten hatten sich verkleidet (es war Faschingssamstag) und zu manchen Stücken haben wir getanzt, so dass die Atmosphäre sehr locker war.
Herzliche Grüße
Gudrun Huber
Das ist ja höchst erfreulich, wie Ihre Online-Konzerte gelaufen sind! Gratuliere!
herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
PS: Im Moment biete ich die Gruppenstunden als zusätzlichen Service an. Das geht jetzt im Moment, weil ja keine anderen musikalischen Veranstaltungen stattfinden können, in die ich involviert wäre!