Willkommen in der Ohrenspitz-Gruppe
Als erstes ist es mir heute ein Anliegen, Ihnen vielen Dank zu sagen für die vielen Kommentare und die wunderschönen Video-Links zum Beitrag von letzter Woche! Ich war ganz überwältigt!!!! So viel Kreativität, Engagement und Können! Herzlichen Dank für das Teilen dieser schönen Beiträge hier auf dieser Plattform! Das hat mich riesig gefreut, und wer sich die tollen Videos noch nicht angesehen hat, dem kann ich das nur ans Herz legen: Gehen Sie in die Kommentare des letztwöchigen Artikels und sehen Sie sich die schönen Videos an! Es lohnt sich!
Nun fragte mich eine Kollegin, ob ich nicht einmal beschreiben könnte, wie der Gruppenunterricht in meiner Ohrenspitz-Gruppe abläuft. Ich hatte nämlich während des letzten Lockdowns begonnen, meinen jüngeren Schülern zusätzlich zum Einzelunterricht am Instrument einmal wöchentlich eine Gruppenstunde anzubieten. Nach der Rückkehr zum Präsenzunterricht wollten die Kinder unbedingt diese Gruppenstunden beibehalten. Also habe ich beschlossen, diese Online-Gruppenstunden weiter zu führen.
Genau zuhören lernen - Ohrenspitz-Gruppe
In meinem Unterricht ist es mir immer ein besonderes Anliegen, die Kinder zu bewusstem Hören anzuleiten und die innere Vorstellungskraft zu schulen. Deshalb nenne ich meine Online-Gruppen auch Ohrenspitzgruppe 1 und Ohrenspitzgruppe 2. Inhaltlich geht es vor allem um die drei Bereiche Rhythmus, Tonhöhenvorstellung und Notation. Spielerisch üben wir gemeinsam verschiedene Rhythmen und Tonfolgen sowie deren Notation. In einer Gruppe sind jeweils vier Kinder, sodass ich – selbst wenn ich meinen Bildschirm teile – immer noch alle Kinder neben dem geteilten Bildschirm sehen kann. Alle Kinder haben übrigens durchgehend ihr Mikrofon eingeschaltet. Dadurch lernen sie, sich selbst still zu verhalten und genau zuzuhören, wenn ein anderes Kind gerade spielt oder spricht. Das funktioniert übrigens sehr gut. Hier nun ein Beispiel für den Ablauf einer Gruppenstunde mit der Ohrenspitz-Gruppe 1.
Geige stimmen, dann Blattspiel
Als erstes werden die vier Geigen hintereinander gestimmt. Wir spielen die zwei Töne einer Quinte zuerst immer hintereinander, so hören die Kinder erfahrungsgemäß besser, ob die Quinte rein ist. Zur Kontrolle werden die beiden Saiten dann gleichzeitig gestrichen. Die Kinder haben bereits eine gute Routine im Stimmen entwickelt. Da wir gerade die Geige in der Hand haben, kommt als erstes eine kleine Blattspielübung. Dabei gehe ich gerne nach dem Buch „I can read Music“ von Joanne Martin vor, das ich mir auch in der digitalen Version gekauft habe. Auf einer Buchseite sind immer 5 Zeilen notiert. Ich suche mir eine der 5 Zeilen aus und lese die Notennamen laut vor. Dann gehen meist schon alle Hände hoch, denn die Kinder sind mittlerweile schnell im erkennen, welche Zeile das war. Ein Kind darf die Lösung sagen und dann gleich selber eine Zeile auswählen und vorlesen. So gehen wir eine Runde mit Notenlesen durch, in der zweiten Runde wird gespielt. Ein Kind spielt eine Zeile, die anderen sollen erkennen, welche Zeile das war. Erlaubt sind alle möglichen Varianten, um das „Spiel“ schwieriger zu gestalten, z. B. die Zeile von hinten nach vorne zu spielen oder die Takte von oben nach unten und von unten nach oben. Das kann ganz schön knifflig werden!
Rhythmus
Für den Rhythmus habe ich eine fortschreitende Power-Präsentation erstellt, bei der immer neue rhythmische Phänomene dazukommen. Letzte Woche kam z. B. die punktierte Viertelnote dazu, nachdem die Kinder Rhythmen mit Viertelnoten, Achtelnoten, Halben Noten, Sechzehntelnoten, Ganzen Noten und Dreischlagnoten bereits recht gut beherrschen und auf dem Instrument umsetzen können. Auch hier kommt wieder die Spielidee „einer spielt, die anderen erkennen“ zum Einsatz. Die Kinder lieben dieses Spiel und verlangen Woche für Woche danach! Zuerst werden die Rhythmen mit der Rhythmus-Sprache gesprochen, im nächsten Durchgang werden sie gesprochen und gleichzeitig auf der Geige gespielt, und im letzten Durchgang werden sie nur gespielt. Der Schwierigkeitsgrad steigt also von Runde zu Runde. Das kann ganz schön herausfordernd sein. Im Spiel Dinge auszuprobieren bleibt aber trotz Herausforderungen entspannt, da die Kinder keine „Ängste“ haben, etwas „falsch“ zu machen. Ein Spiel ist einfach eine wunderbare und sehr kurzweilige Art, Dinge zu lernen und zu üben! Man kann auch ganz ungezwungen etwas nochmal wiederholen und dabei auf einen bestimmten Aspekt achten, z. B. darauf achten, dass der Rhythmus gut in den „Puls“ der Musik eingebettet ist, ohne wertende Worte wie „falsch“ und „richtig“ zu verwenden. Das ergibt so eine erfrischend fröhliche Lernatmosphäre.
Tonhöhenvorstellung
Hier arbeite ich mit Solmisation. Auch dafür habe ich eine fortlaufende Powerpoint-Präsentation erstellt, die jede Woche eine neue Aufgabe mit sich bringt. Zuerst schauen wir uns das Handzeichen der jeweils neuen Solmisationssilbe an, dann schalte ich auf großen Bildschirm mit Kachelansicht, sodass wir uns gegenseitig alle recht groß sehen können. Nun mache ich die Handzeichen und die Kinder singen dazu. Sehr langsam natürlich, da wir technikbedingt immer eine gewisse Verzögerung haben, das stört aber in diesem Fall nicht. Nach dem Singen mit Handzeichen kommt wieder eine Folie mit verschiedenen Melodien ins Bild. Erst wird die Melodie gesungen (also Blattsingen) und anschließend auf der Geige gespielt. Auch bei diesen Lerninhalten spielen die Kinder am liebsten das Spiel „höre und erkenne“. Hier ein Beispiel für eine Solmisations-Folie mit So, Mi und La. Das So ist hier die leere A-Saite.
Notation
Wenn wir neue Dinge bezüglich Notation lernen, verwende ich immer zuerst das Whiteboard. Hier zeichne bzw. schreibe und erkläre ich das neue „Phänomen“. Dann gibt es auch in diesem Lernbereich eine fortlaufende Powerpoint-Präsentation, die das Ganze noch einmal verdeutlicht. Hier sehen Sie z. B. die Folie für das Versetzungszeichen „Kreuz“.
Anschließend dürfen die Kinder selber mit diesem „Notenmaterial“ erfinderisch werden und eigene Kombinationen ausprobieren. Zu diesem Zweck schreiben sie sich selbständig ein Notensystem mit den 5 Linien und dem Violinschlüssel bzw. ein Ein-Liniensystem für Rhythmen auf. Die verschriftlichten Entwürfe der Kinder schaue ich mir dann im nächsten Einzelunterricht an. Dort spielen wir das Aufgeschriebene dann gemeinsam durch und überlegen, ob das so stimmig ist, oder ob das Kind noch etwas verändern möchte. Oft stoßen die Kinder erst beim Verschriftlichen darauf, dass etwas noch unklar ist. Das Verschriftlichen ist deshalb ein wichtiger Schritt, der Klarheit verschafft.
Gegenseitiges Mini-Vorspiel
Manchmal – wenn noch Zeit ist – darf jedes Kind ein paar Takte aus dem Stück, das es gerade lernt, den anderen Kindern vorspielen. So ein kleines „Mini-Vorspiel“ ist immer ein schöner Abschluss einer Online-Gruppenstunde.
Die Kinder lieben jedenfalls ihre Ohrenspitz-Gruppe und sind immer überpünktlich zur Stelle, wenn ich das Meeting eröffne! Das freut mich sehr, denn diese Online-Gruppenstunde hat sich als ideale Ergänzung zum instrumentalen Einzelunterricht erwiesen. Die Kinder hören viel bewusster zu, das musikalische Vorstellungsvermögen wird intensiv geschult, sie lernen die Musiknotation systematisch und nachhaltig kennen, und haben große Freude am gemeinsamen spielerischen Lernen und Üben! Es wäre wünschenswert, solche „Ohrenspitz-Gruppen“ in den regulären Unterrichtsplan an den Musikschulen aufzunehmen!
Leiten Sie auch Online-Gruppenstunden mit Ihren Schülern? Wenn ja, was für Schwerpunkte setzen Sie, und was für Erfahrungen haben Sie damit? Über Ihre Anregungen und Kommentare würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Vielen Dank liebe Andrea, das ist sehr hilfreich, ich probiere es gleich mit meiner Orchestergruppe am Freitag aus
Vielen Dank und Grüße,
Berit
Gerne, das freut mich!
Liebe Grüße,
Andrea
Liebe Andrea, mich würde interessieren: wie und in welcher Höhe kann die zusätzliche Gruppenstunde idealerweise abgerechnet werden, sind die Eltern gut bereit, nochmal Geld draufzulegen in diesen schwierigen Zeiten? Was haben andere da für Erfahrungen?
Eine wirklich prima Idee, da die Unterrichtszeit dafür immer zu knapp ist.
Gabriele
Hallo,
Ich mache das immer so, dass von Schulbeginn weg von jedem 5-10min Unterrichtszeit abgezogen werden. (Z.B. 50min Einzel-Stunde am Papier, in Wirklichkeit 40min. Einzelstunde)
Und die „Übrige“ Zeit wird dann in der Gruppenstunde zusammengenommen. (Z.B. 4 Kinder in der Gruppe, jeweils 10min. Untwrrichtszeit vom Einzelunterricht „Übrig“ bedeuted, 4×10 die 4 Kinder haben 40min Gruppenunterricht)
Wenn das vom Schulbeginn weg etabliert ist, ist das meistens kein Problem,- da die Kinder ja sogar „in Summe“ mehr Unterrichtszeit dafür bekommen.
Und 50min ist bei den Kleinen eh schwer zu konzentrieren im Einzelunterricht, 30-40min sind optimal. Und die 10min die da „fehlen“ sind Unterrichtszeittechnisch in der Gruppe super investiert
Lg
Liebe Gabriele,
am besten ist die von Gudrun oben beschriebene Pool-Variante: Jeder gibt 5 oder 10 Minuten von seinem Einzelunterricht in den Pool, und diese Zeiten addieren sich dann zusammen zu einer Gruppenstunde. Das sollte man allerdings tatsächlich von Jahresbeginn an so einteilen, so habe ich das auch schon praktiziert. Ich verrechne derzeit für meine zusätzlichen Gruppenstunden nichts, da ich das ja nicht von Schuljahresbeginn so eingeteilt hatte. Das ist in diesem Fall ein „Extra-Service“, den die Kinder in dieser ungewöhnlichen Zeit von mir bekommen. Das ist natürlich keine Dauerlösung, das ist schon klar, ich kann das aber im Moment gerade gut machen, weil corona-bedingt andere Engagements wegfallen, und ich so die Zeit dafür habe!
Liebe Anndrea,
vielen Dank für diese wunderbare Idee. Der beste Beweis, dass man am Bildschirm freier ist als man denkt!
Allerdings stelle ich mir das Abzwacken von Zeit bei einer 30 Min Stunde schwer vor, das ist die Einheit bei uns für die Anfänger.
LG
Eva
Ja, liebe Eva-Maria, es ist tatsächlich schwierig, bei so einer kurzen Lektion noch etwas abzuzwacken für eine Gruppenstunde. Deshalb gebe ich diese Gruppenstunden aufgrund der derzeitigen Situation den Kindern auch gratis, ohne von ihrer kurzen Einheit etwas abzuzwacken. Wenn man aber grundsätzlich eine zusätzliche Gruppenstunde machen möchte, sollte man zu Schuljahresbeginn einplanen, dann müssten die Kinder eben eine entsprechend längere Lektion buchen! Mitten im Semester kann man das logischerweise nicht einfach ändern.
Liebe Grüße, Andrea