Der Sinn des Instrumentalunterrichts
Was ist der Sinn des Instrumentalunterrichts? Wenn man Eltern fragt, warum sie ihre Kinder zum Instrumentalunterricht schicken, bekommt man die unterschiedlichsten Antworten:
- weil Musik die kognitive und motorische Entwicklung fördert,
- weil die Kinder dann in der Schule bessere Noten haben,
- weil aktives Musizieren das Selbstvertrauen stärkt,
- weil die Kinder beim gemeinsamen Musizieren mehr soziale Kompetenz entwickeln,
- weil das Üben Konzentration, Geduld und Durchhaltevermögen fördert, usw.
Musizieren als Mittel zum Zweck
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass all diese Antworten das Musizieren immer nur als ein Mittel zum Zweck begreifen, ein Mittel, um etwas Bestimmtes zu erreichen, das aber mit Musik eigentlich nichts zu tun hat. Greift das nicht viel zu kurz? Geht das nicht komplett am Sinn der Sache vorbei? Warum musizieren wir denn selber? Also ich spiele Geige, weil ich einfach unheimlich gerne Geige spiele. Weil ich es liebe. Weil ich es liebe, Musik zu gestalten. Weil ich Musik liebe. Ich liebe Klänge, ich liebe Klangfarben. Ich liebe es, Noten in beseelte Klänge umzusetzen. Für mich ist Musik eine Sprache der Seele. Sie berührt mich tief. Sie ist ein unglaublich bereichernder Teil meines Lebens.
Die Liebe zur Musik
Warum spricht denn niemand von der Liebe zur Musik? Von der geistig-seelischen Bereicherung der Musik? Ist denn das kein „ausreichender“ Grund, um ein Instrument zu lernen? Gesteigerte Konzentration und Durchhaltevermögen sind sicher löbliche und dienliche Eigenschaften in unserem Leben, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber: Machen sie glücklich? Macht es ein Kind glücklich, wenn es Geige lernen soll, um in Mathematik bessere Schulnoten zu erzielen? Ich weiß, das ist jetzt etwas provokativ gefragt. Aber: Muss denn jegliches Lernen immer ausschließlich dazu da sein, um auf der Leistungsstufe wieder eine Sprosse höher zu klettern? Darf man denn heutzutage, wo die Zeit gefühlt für alle so knapp zu sein scheint, nicht etwas lernen oder tun, das einfach „nur“ Freude bereitet? Das einen glücklich macht?
Der Sinn des Musizierens
In unserer schnelllebigen Zeit ist alles auf Optimierung ausgerichtet. Es geht immer um Leistung. Was macht das mit uns Menschen, vor allem mit unseren Kindern? Wie viele fühlen sich nie „gut genug“? Ist es da nicht wichtig, dass uns das Musizieren wieder einen Weg zu unserem Inneren zeigt, zu unseren Gefühlen? Zu unserer inneren Gewissheit, dass wir so, wie wir sind, „gut genug“ sind? Beim Musizieren dürfen wir uns so zeigen, wie wir sind. Uns selber spüren. Dieses „sich selber spüren“ geht in der Hektik des Alltag mit all seinen Aufgaben oft verloren. Da kann das Musizieren wie eine Insel im Alltag sein, die uns wieder zu uns selbst zurückbringt. Ist der Sinn des Lernens nicht der, sich als Mensch zu entwickeln, sich zu entfalten, wie ein Schmetterling, der nach mehreren Entwicklungsstadien endlich seine Flügel entfalten darf? Ist das Musizieren nicht ein „Königsweg“ zu dieser Entfaltung? Darf der Sinn des Musizierens nicht einfach die Liebe zur Musik sein? Diese Freude, die uns tief im Herzen glücklich macht?
Wie sehen Sie das? Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Spricht mir aus dem Herzen.
Ein sehr guter und wichtiger Artikel!
Ich könnte mir aber vorstellen, dass doch viele Schüler genau aus diesem Grund ein Instrument lernen – weil es eben Spaß macht. Wenn man sie oder ihre Eltern jedoch nach dem Grund fragt, fühlen sie sich eventuell genötigt, irgendwelche „hochtrabenden“ Antworten zu geben. Genauso wie manche erfolgreichen Musikerkollegen, die behaupten, sie hätten ein Instrument gelernt, weil sie z.B. Brücken bauen wollen oder die Welt verbessern möchten. Ich glaube kaum, dass ein kleines Kind aus solchen Gründen beschließt, ein Instrument zu lernen.
Ja, das stimmt. Die meisten Kinder, die heute ein Instrument lernen möchten, kommen, weil sie die Freude am aktiven Musizieren erleben möchten, und das ist gut so.
Liebe Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Es tut so gut, diese Zeilen vor den bevorstehenden Jugend-Musiziert-Wettbewerben zu lesen. Mögen sich möglichst viele Eltern / Lehrkräfte und Juroren Ihre Zeilen zu Herzen nehmen, damit die Kinder mit Freude dem Wettbewerb entgegensehen und den Spaß am Musikmachen auch danach noch behalten.
Ja, gerade bei einem Wettbewerb ist es wichtig, das große Engagement der Kinder bei der Vorbereitung wertzuschätzen und dies auch zu kommunizieren, ganz unabhängig vom Preis. Es liegt in der Natur eines Wettbewerbs, dass nicht alle einen 1. Preis erhalten werden, das ist klar. Die Kinder sind ja auch zum Teil auf sehr unterschiedlichen Lern-Niveaus. ABER: Jedes Kind bringt sich mit so viel Herzblut und Engagement ein, und das sollte von Juroren, Lehrern und Eltern auf jeden Fall geschätzt und auch ausgesprochen werden!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Mir spricht es ebenfalls aus dem Herzen.
Vielen Dank!
Das haben Sie so hervorragend erkannt und auch ausgedrückt, dass ich mich sehr herzlich für das Ansprechen dieses Themas bei Ihnen bedanken möchte!
Danke für diese schöne Rückmeldung!
Liebe Andrea, danke für deine wunderbaren Worte. Ich denke, wir alle tragen vermutlich diese Liebe zur Musik und zum Musizieren in uns- sonst hätten wir nicht diesen Beruf gewählt. Natürlich kenne ich diese Slogans, die manche Musikschulen auch verwenden, daß Musik schlau macht…. Ich biete allen Kindern eine Probestunde an, zu der auch die Frage gehört, warum sie gerade dieses Instrument erlernen möchten. Die Antworten sind oft sehr interessant (da dürfen auch nicht die Eltern antworten) und ich erzähle ihnen auch, warum ich selbst vor vielen Jahren dieses wunderbare Instrument erlernen wollte.
Liebe Grüße, Iris Unterricker
Vielen Dank, liebe Iris!
Liebe Andrea,
das Jahr hat kaum angefangen,
und da kommt schon ein derart treffender Beitrag von Dir…..:)
Musik wird in der Diskussion um die Musikschule nicht mehr als etwas benannt, das seinen Sinn in sich selbst trägt.
Das hat natürlich keine guten Auswirkungen auf unser Berufsfeld.
Ich hoffe, wir sehen uns bei der ESTA!
Dein Michael
Lieber Michael,
ich weiß, ich bin ein unverbesserlicher Optimist, aber ich glaube, dass – aufgrund der neueren Gehirn- und Lernforschung – das Pendel bald wieder in die andere Richtung gehen wird. Forscher wie z. B. ein Gerald Hüther zeigen ja unmissverständlich auf, dass die Freude am Tun, ein „in den Flow kommen“, der beste Weg zum Lernen ist, und – diese Art des Lernens macht glücklich. Musizieren auch!
Liebe Grüße,
Andrea
Liebe Frau Holzer Rhomberg,
in dem gerade besuchten Symposium ging es u.a.um die tools, wie man sich immer wieder dem “ Messbaren“ entziehen kann – Musik ist ja soviel mehr als saubere Töne!
Durch das Aufbrechen von Unterrichtsroutine und im Verlassen alter Rituale können wir diese Liebe zum Instrument vielleicht noch mehr betonen, freisetzen , vermitteln etc.
Zur inneren Einstellung und Türöffner für Ihre wunderbar formulierten Worte ein guter Rat von Herrn Hirschhausen: werden wir erwachsen und bleiben Kind!
Herzlichen Dank!
Wie wahr! Sich als Erwachsener immer noch über etwas freuen können, wie ein Kind – das ist ein großer Schatz!
Liebe Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
ich kann mich meinen Vorrednern einfach nur anschließen…
…dass es sein darf, etwas zu tun was einfach nur Freude macht, was mich glücklich macht…
Das haben Sie so wunderbar ausgedrückt…
Ich meine zu beobachten, dass die glücklichsten Momente meiner Schüler beim Musizieren genau mit dieser Qualität zu tun haben.
Danke für Ihre Worte – ich bin sehr berührt und werde die Thematik für mich weiter bewegen.
Viele Grüße,
S.Trinks
Vielen Dank, liebe Frau Trinks!
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
selbst wenn all diese Gründe warum ein Kind das Geigenspiel erlernt, am Anfang im Vordergrund standen, bin ich überzeugt davon, dass die Früchte des Instrumentalunterrichts oft erst im Erwachsenenalter sichtbar werden.
Ich versuche in jeder Unterrichtsstunde meine Liebe zu diesem Instrument dem Kind nahezubringen. Jedoch erlebe ich selbst bei guten Schülern, dass sie außerhalb des Unterrichts keine Musik hören, nicht in ein Konzert gehen oder auch nicht im einem Ensemble musizieren möchten.
Erst im Erwachsenenalter realisieren sie welchen Schatz sie da mitbekommen haben. Dieser heißt ein besseres Verständnis für die Welt der Musik zu besitzen und die Fähigkeit ein geschultes Hörvermögen für musikalische Zusammenhänge zu haben. Und werden aus unseren Geigenschülern nicht wieder Eltern, die ihre Liebe zur Musik weitergeben an die nächste Generation?
Beste Grüße aus Berlin, Heidrun Polster
Ja, dem stimme ich voll und ganz zu! So wird die Liebe zur Musik von Generation zu Generation weitergetragen. Gerade deswegen ist es wichtig, dass auch Kinder aus Familien, in denen noch niemand ein Instrument gespielt hat, Zugang zum Instrumentalunterricht bekommen. Auch wenn aus vielen Musikschülern keine Berufsmusiker werden, sie tragen doch alle die Liebe zur Musik weiter.
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg !
Danke für Ihren tollen Artikel ! Ich mache die Erfahrung, dass die oben genannten Gründe, ein Instrument zu spielen oft von Eltern vorgetragen wird, die selber kein Instrument spielen. Sie haben diese grundlegende Erfahrung des Glücklichseins beim Musizieren nie selber erfahren. Deswegen haben sie nur den Zugang über die von Ihnen so treffend genannten Gründe, die ja auch in den öffentlichen Medien stets propagiert und von den Eltern mangels eigener Erfahrung bereitwillig übernommen werden.
Die Eltern, die selber früher in den Genuss von Musikunterricht gekommen sind oder vielleicht noch immer ein Instrument spielen,
haben da einen anderen Zugang. Sie kennen diesen Wert, der jenseits von irgendwelchen Leistungsansprüchen ganz im Innern des Menschen liegt und möchten dies ihren Kindern auch ermöglichen.
Manche sind ganz berührt, wenn sie von ihren eigenen schönen Erfahrungen aus der Kindheit berichten. Dass es vielleicht sogar ein privater Musikunterricht war, wo es Plätzchen gab und wo sie in warmer Umgebung geschützt erblühen konnten.
Sie freuen sich dann, wenn sie mich „gefunden „ haben, denn ich bin auch eine Plätzchen backende, wärmstens umhegende Instrumentallehrerin. Ich habe auch selber das Gefühl, den Kindern oder später Jugendlichen oder Erwachsenen genau dies geben zu können, die Liebe zur Musik, zum Instrument, zum Glücklichsein im Tun, jenseits von allen Leistungsansprüchen.
Wenn ich gefragt werde, was ich denn beruflich so tue, dann sage ich oft im Scherz : ich bin ein Glücklichmacher ! Aber das ist kein Scherz, ich meine es ernst. Ich sehe meine Berufung als Instrumentallehrer darin, mit der Musik und der Beschäftigung mit dem Instrument die Kinder glücklich zu sehen. Sie kommen wirklich gerne und ziehen erheblich beschwingter wieder von dannen.
Ich glaube, das ist der Sinn : das Glück des Menschen, nach dem wir ja alle streben und ich glaube, dass das Spielen eines Instruments ein ganz wunderbarer und im Prinzip einfacher Weg ist, dies zu erreichen.
Fröhliche Grüße aus Malente von Christine Dreismann !
Was für ein wunderschöner Beitrag!
Vielen Dank, Frau Dreismann!