Eine Übe-Challenge als Motivations-Booster
Meine Kollegin Annemarie Haring – Fachgruppenleiterin für Streichinstrumente aus dem Bundesland Kärnten in Österreich – hat in Zusammenarbeit mit den Streicher-Lehrkräften der Musikschulen des Landes Kärnten zu Jahresbeginn 2023 eine Übe-Challenge für die dortigen Streicherschüler:innen gestartet. Was sie dazu inspiriert hat, welche Vorbereitungen dazu getroffen wurden und wie die Challenge bei allen Beteiligten ankommt, berichtet sie mir in diesem Interview.
Wie es dazu kam ...
Andrea: Annemarie, wie kam es dazu, was hat Dich motiviert, diese Challenge ins Leben zu rufen?
Annemarie: Ich wollte das „Üben“ in den Mittelpunkt der Arbeit in der Fachgruppe stellen und es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, das war schon seit längerem ein Wunsch von mir. Die Anregung, dies in Form einer „Übe-Challenge“ zu tun, bekam ich von einer Kollegin, einer Suzuki Lehrerin, die so etwas an ihrer Musikschule schon mehrmals durchgeführt hatte. Dieses Konzept haben wir in der Fachgruppe für die Streicherinnen und Streicher an den Musikschulen des Landes Kärnten adaptiert.
Andrea: Wie darf man sich das vorstellen, werden auch die Schüler:innen-Eltern mit in das Projekt eingebunden?
Annemarie: Ja, das Schöne daran ist: Die Übe-Challenge bindet alle Beteiligten, Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen mit ein. Eine Übe-Challenge innerhalb der ganzen Fachgruppe durchzuführen bringt außerdem die Möglichkeit, sich untereinander mit seinen Erfahrungen auszutauschen.
Vorbereitungen und Ablauf
Andrea: Wie habt Ihr Euch als Lehrpersonen darauf vorbereitet?
Annemarie: Mit dem Thema „Üben“ haben wir uns im Vorfeld tiefer auseinandergesetzt und viele Facetten beleuchtet. Wir haben uns ganz konkret im Rahmen des Fachgruppentreffens, in Online-Meetings und mit der Fortbildung „Im Fokus:Üben“ vorbereitet.
Andrea: Wie viele Schüler:innen nehmen nun an der Challenge teil?
Annemarie: Die Resonanz war unerwartet groß: Es haben sich 350 Schüler:innen angemeldet, das ist rund die Hälfte der Streicherschüler:innen in Kärnten. Der Großteil davon sind Schüler:innen der Elementarstufe, zwischen 6 und 10 Jahre alt. 29 Lehrer:innen sind dabei, 28 Musikschulen sind beteiligt. Über 60 Übetage sind mittlerweile vergangen!
Andrea: Das ist ja toll! So viele motivierte Kinder, und so viele Eltern, die dahinter stehen! Worum geht es nun bei dieser Übe-Challenge ganz konkret?
Annemarie: Die Übe-Challenge soll die Teilnehmer:innen motivieren, zwischen 16. Jänner und 6. Mai 2023 an mindestens 100 Tagen zu üben, zu musizieren, vorzuspielen. Es zählen auch die Einzel-oder Gruppenstunden, Ensemble- und Orchesterproben.
Jeder Übetag wird auf einem Spielplan, das ist die „Übe-Pyramide“, eingetragen. Das soll idealerweise mit den Eltern passieren. Das wird sehr gewissenhaft gemacht, die Kinder sind stolz darauf. Sie erleben Eigenverantwortung, bekommen einen Überblick über das, was sie geleistet haben. Und: Ich ahnte im Vorfeld nicht, wie motivierend Sticker sein können!
Zusätzlich gibt es noch ein Blatt, auf dem persönliche Ziele eingetragen werden. Diese werden mit den Kindern gemeinsam festgelegt, z.B. ein bestimmtes Stück auswendig lernen, bestimmte Rhythmen erarbeiten, Bogeneinteilung, Stricharten… – kleine Schritte, die überschaubar sind und innerhalb des Zeitrahmens gemeistert werden können.
Den Abschluss findet die Übe-Challenge in einem großen Streicherfest. In diesem Rahmen erhalten die „Übe-Champions“ eine Medaille und eine Urkunde und spielen gemeinsam im Streichorchester.
Rückmeldungen
Andrea: Was sagen die Schüler:innen dazu, was kamen da für Rückmeldungen?
Annemarie: „Da lerne ich das Üben“ – das war die spontane Erkenntnis eines sechsjährigen Jungen und bringt es auf den Punkt! Ein anderer Schüler stellt sich jeden Tag einen Wecker, damit er das Üben nicht vergisst! Ein ganz junger Schüler lädt seine Eltern täglich zum Üben ein, wie zu einem Konzert. Er stellt die Stühle auf, verteilt Eintrittskarten. Es ist ihm wichtig, in seinem Tun wahrgenommen zu werden!
Da die Übe-Challenge über einen langen Zeitraum geht, kehrt eine Übe-Routine ein. Das Üben etabliert sich und findet als wiederholte Handlung seinen Platz im Alltag.
Andrea: Das ist ein wunderbares Ergebnis! Was sagen die Schüler-Eltern dazu?
Annemarie: Die Eltern sind sehr dankbar! In den Elterngesprächen zur Vorbereitung war ein wichtiger Punkt: Die Eltern müssen NICHT Lehrer:innen sein. Sie sollen das Üben ermöglichen, Anteil nehmen daran. Folgende Fragen wurden mit den Eltern vorab erörtert: Wie findet das Üben Platz im Alltag? Wann kann es stattfinden? Wo findet es statt? Gibt es einen Übeplatz? Auch wie wichtig das regelmäßige Üben für die Ausbildung der Fertigkeiten, das „Handwerk“ ist, wurde besprochen. Sehr oft wird das Üben hintangestellt, verliert sich zwischen anderen Tätigkeiten und Ablenkungen im Alltag – und schon ist der Tag um. Ich finde es schön, dass das Üben und Musizieren durch die Übe-Challenge bei vielen nun in ihrem Tagesablauf in die erste Reihe gerückt ist! Hier ein paar Rückmeldungen von Eltern:
„Ich merke, dass die Freude am Musizieren steigt. Mein Kind geht auch viel lieber zur Stunde, weil es ein gutes Gefühl dabei hat und stolz ist, was ihm diese Woche gelungen ist“
„Durch die Übe-Challenge kommt Motivation von außen. Durch das tägliche Üben entsteht aber ein Wachstumsprozess, der die Motivation nach innen verlagert. Das finde ich wunderbar!“
„Ich bin so dankbar, dass die Motivation zu üben über den Ansporn von außen kommt. Durch das Regelmäßige entsteht fast ein „Zähneputzeffekt“. Habe ich heute schon geübt? – Fragt mein Kind sich selbst am Abend.“
Andrea: Das ist ja ein Riesen-Erfolg! Da kann man nur gratulieren! Kamen von den Lehrenden auch Rückmeldungen?
Annemarie: Ja, für die Lehrenden ist die Übe-Challenge eine große Chance, intensiv über das „Wie üben“ zu reflektieren und die Zusammenarbeit mit den Eltern zu stärken. Nach 50 Tagen bemerken wir, dass das regelmäßige Üben bei vielen Schüler:innen deutlich wirkt, bei manchen allerdings etwas weniger als erwartet. Auch haben wir bemerkt, dass sich nicht nur gute, sondern auch schlechte Angewohnheiten verstärken durch das Üben! Diese Erkenntnis hilft mir persönlich beim Unterrichten sehr, weil ich aufmerksam verfolgen muss: Haben die Schüler:innen verstanden, was ich sage? Wie kommuniziere ich? Wie bereite ich die Inhalte auf, dass die Schüler:innen sie auch verstehen und sie selbständig weiterlernen können?
Andrea: Das heißt, man lernt dadurch auch als Lehrperson dazu?
Annemarie: Ja, definitiv. An dieser Stelle möchte ich mich – auch wenn die Challenge noch nicht vorbei ist – ganz herzlich bei meinen Kolleg:innen bedanken für den konstruktiven Austausch und das große Engagement!
Andrea: Liebe Annemarie, ich danke Dir für dieses aufschlussreiche Interview! Ich denke, das regt sehr zur Nachahmung an!
Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser auch schon einmal eine Übe-Challenge mit Ihren Schülerinnen und Schülern veranstaltet? Wenn ja, wie waren Ihre Erfahrungen damit? Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen.
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Das hört sich super an, vielen Dank für diesen Beitrag!
Und tatsächlich: ja, das habe ich auch schon gemacht. Allerdings im sehr kleinen Rahmen. Ich wollte selbst eine 100-Tage-Übe-Challenge machen und habe ca. 6 Schüler:innen gefragt, ob sie mitmachen wollen, das war eine sehr spontane Aktion. Zwei haben mitgemacht und es war toll! Eine Schülerin hatte zwischenzeitlich einen Durchhänger, sie hat aber wieder die Kurve gekriegt. Und genau die beiden sind seitdem so viel motivierter dabei!
Das klingt gut! Durch regelmäßiges Tun zu Motivation! Wie sagte man früher oft: Mit dem Essen kommt der Appetit!
Zweimal habe ich eine Übe-Challenge unter meinen Schülern durchgeführt, allerdings nur über jeweils zwei Wochen. Das erste Mal war während der Zeit der Corona-Einschränkungen äußerst erfolgreich, am Ende haben wir ein Abschlusskonzert über Zoom veranstaltet, die Sieger erhielten eine Urkunde und ein Geschenk in Form von Geigennoten und für alle anderen Teilnehmer gab es ein kleines Geschenk wie Musik-Postkarten, Magnete, Musik-Bleistifte und ähnliches. Im letzten Jahr waren alle schulisch und auch in der Freizeit schon wieder sehr eingespannt und haben daher nicht so gute Ergebnisse erzielt… daher finde ich die Idee, das ganze über einen größeren Zeitraum zu veranstalten, sehr gut. Dann fällt es nicht so ins Gewicht, wenn man in einer bestimmten Woche krank ist oder aufgrund von Prüfungen unter Zeitdruck steht, weil man in einer anderen Woche wieder mehr üben kann. Außerdem wird es dann wie von Ihrer Kollegin erwähnt mehr zur Gewohnheit.
Einmal haben wir während der Corona-Zeit so eine Übe-Challenge auch im Orchester durchgeführt, da ging es quer durch die Instrumente. Manche waren sehr fleißig und haben sich einen Wettbewerb geliefert, andere weniger. Die Eintragungen erfolgten auf einer Liste, die über Google geteilt wurde.
Danke für den interessanten Newsletter!
Könntet ihr auch zeigen wie die Google Liste, oder die ÜBE Pyramide ausschauen. Und wie man diese dann vergleichen kann mit den anderen Schülern. Also bitte um zusätzliche Informationen für dieses interessante Projekt. Ich danke euch liebe Grüße
Die Übe-Pyramide könnt Ihr hier sehen!
Und so sieht sie aus während der Challenge!
Ich gebe zu, die Google Liste hat einer meiner älteren Schüler erstellt… ich habe mich noch nicht damit befasst, wie es funktioniert. Jeder, der den Link hatte, konnte darauf zugreifen und etwas eintragen, was dann für alle sichtbar wurde.
Herzliche Grüße Gudrun Huber