Besondere Herausforderungen im Distanz-Unterricht
Obwohl der Instrumentalunterricht bereits seit einiger Zeit wieder in der Musikschule stattfindet, sind wir hier immer noch zu einem „Distanz-Unterricht“ angehalten. Das heißt, zwischen Lehrer und Schüler muss ein Abstand von mindestens 2 Metern eingehalten werden. Zudem ist das Tragen einer FFP2-Maske für die Lehrperson und eines Mund-Nasenschutzes für das Kind verpflichtend. Das sind tatsächlich besondere Herausforderungen, vor allem im Unterricht mit jungen Anfängern. Während viele Lehrinhalte sich auch auf Distanz sehr gut übermitteln lassen, wird das Haltungs- und Bewegungslernen für die jungen Anfänger durch die Distanz doch erheblich erschwert.
Wegfall von manueller Hilfe
Konnte man früher einem Kind beim Streichen auf der Saite durch Führen des Bogens helfen, diesen Bewegungsablauf zu „erspüren“ und im Bewegungsgedächtnis zu verankern, muss man sich heute anderer Strategien bedienen. Konnte man früher den Bogenarm des Kindes berühren um ihm ein Gefühl für Armgewicht zu vermitteln, muss man sich heute eine andere Vermittlungsmethode ausdenken. Gerade der Bereich Haltungs- und Bewegungslernen stellt uns hier vor besondere Herausforderungen. Wir haben bereits im Online-Unterricht die Erfahrung gemacht, dass verbale Beschreibungen Bewegungsabläufe oft nur sehr begrenzt vermitteln können, vor allem bei sehr jungen Anfängern. In diesem und den folgenden Blog-Beiträgen möchte ich jeweils eine dieser besonderen Herausforderungen herausgreifen und gemeinsam mit Ihnen überlegen, wie diese auch in einem Distanz-Unterricht gut bewältigt werden kann.
"Gerade" streichen
Heute soll es um den „geraden“ Bogenstrich gehen. Der Bogen soll sich möglichst parallel zum Steg bewegen. Wie kann man ohne manuelle Hilfe des Lehrers ein „Gefühl“ für den geraden Bogenstrich bekommen? Was haben wir im Distanz-Unterricht für Möglichkeiten?
Optische und akustische Kontrolle
Wir haben erst einmal zwei Kontrollmöglichkeiten: Eine optische und eine akustische. Wir können also einerseits die Kontaktstelle beobachten und auf diese Weise kontrollieren, ob der Bogen gerade streicht. Andrerseits können wir zuhören, ob der Ton klar klingt und nicht rau, wie das der Fall ist, wenn man nicht gerade streicht. Das Schauen auf die Kontaktstelle bei der Geige wird allerdings durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sehr erschwert. Viele Kinder haben große Mühe damit. Zudem ist es aus dieser Perspektive für Kinder oft sehr schwierig zu erkennen, ob der Bogen sich wirklich parallel zum Steg bewegt.
Spiegelkontrolle
Wir haben noch eine andere Möglichkeit der optischen Kontrolle: Der gut alte Spiegel. Im Online-Unterricht konnte ja auch der Bildschirm als „Spiegel“ herhalten. Bei der „Spiegel-Kontrolle“ ist es wichtig zu wissen, wie man sich vor dem Spiegel positioniert. Man muss so stehen, dass die Geige wirklich parallel zum Spiegel ist, also die Schnecke links und nicht halb nach vorne gerichtet. Dann müssen sich die Kinder erst einmal daran gewöhnen, ihre Bewegungen im Spiegel zu beobachten und zu korrigieren. Das braucht ein wenig Übung, funktioniert nach einigen Versuchen aber meist recht gut. Wenn ein Kind trotz Bemühung immer wieder beim Streichen in der oberen Hälfte mit dem Bogen zum Griffbrett abrutscht, sollte man die Geigenhaltung kontrollieren.
Augenmerk auf die Geigenhaltung
Bei Kindern mit noch recht kurzen Armen hilft es, die Geige etwas mehr über dem Saitenhalter (statt links davon), und mit der Schnecke etwas weiter nach vorne zu halten. Kinnhalter, die etwas über den Saitenhalter drüber reichen, sind dabei sehr von Vorteil. Durch Anpassung der Positionierung des Kinnhalters und der Schneckenrichtung kann für jedes Kind eine angenehme Haltung gefunden werden, sodass es schlussendlich mühelos gerade streichen kann.
Bewegungsbild
Was beim Erlernen eines Bewegungsablaufes bei Kindern sehr hilfreich sein kann ist ein passendes Bewegungsbild, z. B. „Streiche so, als ob du mit der Schraube deines Bogens diesen Punkt im Spiegel (z. B. einen kleinen Smiley-Sticker) treffen wolltest.“ Dabei ist selbstverständlich wieder auf die richtige Positionierung vor dem Spiegel zu achten, sonst nützt das nichts. Oder man stellt einen Kegel in einigem Abstand vor sich auf den Boden und streicht in Richtung des Kegels. Das geht vor allem beim Streichen auf der A- oder E-Saite.
Bewegung im Bewegungsgedächtnis verankern
Wenn die Kinder gelernt haben, ihre Strichrichtung zu kontrollieren, ist bereits ein großer Schritt getan. Jetzt muss allerdings dieser Bewegungsablauf des stegparallelen Bogenstrichs im Bewegungsgedächtnis verankert werden. Wir kombinieren nun die optische Kontrolle mit dem „Streichgefühl“, mit dem Tast- und Bewegungssinn. „Wie fühlt sich das an?“ Dann wird nach und nach die optische Kontrolle weggelassen. „Kannst du spüren, ob du gerade streichst, auch wenn du gar nicht hinsiehst? Kannst du spüren, ob dein Bogen gerade geht, auch wenn du gerade in die Noten schaust?“ Solche Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf die Körperwahrnehmung und helfen, den Bewegungsablauf bewusst wahrzunehmen und in der Folge abzuspeichern. Dieses bewusste Wahrnehmen sollte immer wieder im Vordergrund stehen, bis die grundlegenden Bewegungsabläufe optimiert und automatisiert sind.
Weitere Unterrichtsstrategien zum Thema "gerade" streichen
Jetzt sind Sie als Leser und als Pädagogen gefragt: Was haben Sie für Strategien, um auch in Zeiten von Distanz-Unterricht Ihren jungen Anfängern einen geraden Bogenstrich zu vermitteln, was zweifellos zu den besonderen Herausforderungen gehört? Benutzen Sie Bewegungsbilder? Wenn ja, was für welche? Auch Beispiele für diese Thematik am Cello wären interessant! Und wie schaffen Sie es dann, dass die Kinder die optimalen Bewegungsabläufe verankern und automatisieren? Je mehr Vermittlungsstrategien wir als Pädagogen in unserem Repertoire haben, desto mehr werden unsere Schüler davon profitieren, vor allem in Zeiten, wo wir auf viel Althergebrachtes nicht zurückgreifen können. Ich freue mich auf einen regen Austausch zu diesem Thema hier in den Kommentaren!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Hallo liebe Frau Holzer-Rhomberg
immer wieder praktisch finde ich die guten alten Plastikstrohhalme (sonst evtl. dünne Stöckchen), welche die Schüler in die f-Löcher stecken. Die Geige sieht ein bißchen aus wie ein Käfer mit zwei Fühlern, das gefällt den jungen Schülern und ihr Bogen rutscht nicht mehr aufs Griffbrett! Wenn sie es dann noch schaffen, die Fühler nicht zu „verletzen“, gehts dem „Käfer“ gut und der Bogenarm hat ganz viel gelernt …
Liebe Grüße
Yana König
Schönes „Bild“ mit dem Käfer (oder vielleicht auch Schmetterling?) und den verletzlichen Fühlern! Vielen Dank!
Herzliche Grüße,
Andrea
Hallo allerseits,
SPIEGEL finde ich gut, leider haben viele Kinder keinen Platz zum Geigen dort, wo sich die häuslichen Spiegel befinden.
KEGEL aufstellen hilft gut, für zu Hause empfehle ich z.B. ein Kuscheltier.
Ich probiere noch Folgendes:
1. (geht nur mit leeren Saiten): die Geige tief in den Arm nehmen, ganze Bögen streichen, dem Bogen zusehen und fühlen, was zu tun ist, damit der Bogen nicht wegeiert.
2. Bei „normaler“ Geigenhaltung: Nach ca. der Hälfte des Abstrichs auf die Bogenspitze schauen und am Ende auf die rechte Hand. Wo genau im Raum befindet sie sich?
Beides auch mit geschlossenen Augen ausprobieren oder mit „verträumtem“ Blick.
Herzliche Grüße
Irmgard Fliegner
Wunderbar! Vielen Dank für die hilfreichen Tipps, liebe Irmgard!
Herzliche Grüße,
Andrea
Wir praktizieren den sogenannten „Bananenstrich“.
Das Kind stellt sich vor, es würde auf einer großen liegenden Banana streichen, die Innenkrümmung Richtung Schnecke.
Das verhindert das Nach- Hinten- Streichen. Meist ist der Strich dann ganz gerade.
Liebe Grüße von Solveigh
Vielen Dank für diesen guten Tipp! Das ist auch ein sehr einprägsames Bild!
Herzliche Grüße,
Andrea