Reflexion nach einem Wettbewerb
Wenn man sich einem musikalischen Wettbewerb stellt, ist das immer eine besondere Erfahrung. Selbst wenn man keinen Hauptpreis gewinnt, kann man unglaublich viel daraus lernen. Oft gibt es für die Kandidaten und Kandidatinnen im Anschluss an die Wertungsspiele ein Feedback-Gespräch, was ich für sehr sinnvoll halte. Dies ist aber aus verschiedenen Gründen nicht immer möglich. In so einem Fall helfen eine Reihe von Fragen zur Reflexion, um für sich selbst den größtmöglichen Nutzen aus der Teilnahme am Wettbewerb zu ziehen. Hier eine kleine Auswahl an Fragen, über die es sich zu reflektieren lohnt.
Reflexion zur Programmgestaltung
Ich versetze mich jetzt einmal in die Situation eines Wettbewerbs-Kandidaten: So ein Wettbewerb bietet mir nicht nur die Chance, zu zeigen wie weit fortgeschritten ich spieltechnisch bereits bin, sondern auch auf wie vielfältige Weise ich mich auf meinem Instrument ausdrücken kann. Je unterschiedlicher vom Charakter und Stil die Werke auf meinem Programm sind, desto mehr Facetten des musikalischen Ausdrucks kann ich zeigen. Zudem muss ich ja möglicherweise später als Berufsmusiker auch selbständig interessante und vielseitige Programme zusammenstellen können. Folgende Fragen helfen mir bei der Reflexion zur Programmauswahl:
- Finden sich in meinem Programm Werke, die von Stil, Charakter und Tonsprache unterschiedlich sind?
- Kommen schnelle und langsame Sätze darin vor?
- Kommen verschiede Spieltechniken darin vor?
- Ist mein Programm eher traditionell (Barock, Klassik, Romantik) gehalten, oder ist auch ein zeitgenössisches Werk in ebensolcher Tonsprache dabei? Strebt man ein Leben als Berufsmusiker an, kommt man um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik nicht herum. Warum also nicht gleich damit beginnen?
- Habe ich die Chance, mich als vielseitige Musikerin zu präsentieren, voll ausgenutzt?
Reflexion zur Vielfalt im stilistischen Ausdruck
Wenn das Programm abwechslungsreich ausgewählt ist und Werke aus verschieden Epochen enthält, stellen sich folgende Fragen:
- Wie kann ich dem musikalischen Stil der einzelnen Werke gerecht werden?
- Habe ich mich für meine Interpretation eines Werkes von Bach beispielsweise auch auseinandergesetzt mit historischer Aufführungspraxis? Mit Verzierungen? Kann ich bei einer Fuge auch bei komplexen Akkordfolgen das Fugenthema in den einzelnen Passagen für den Zuhörer verständlich herausarbeiten?
- Wie gestalte ich den Klang z. B. bei einem Werk der Wiener Klassik im Vergleich zu einem Werk der Romantik? Wie differenziere ich Vibrato, Artikulation usw.?
- Was für interessante neue Ausdrucksmöglichkeiten bietet eventuell ein zeitgenössisches Werk?
- Wie genau setze ich die unterschiedlichen Stile bewusst spieltechnisch um?
Reflexion zur Vorbereitung
Ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitung auf einen Wettbewerb ist auch das Trainieren des Durchspielens des gesamten Programms. Übt man dieses Durchspielen zu wenig, kann es in der Auftrittssituation zu Konditionsschwierigkeiten kommen. Hier stellen sich folgende Fragen:
- Wie oft muss ich das Programm von Anfang bis Ende durchspielen, bis ich mich sicher damit fühle?
- Wie kann ich mich in den wenigen Augenblicken zwischen zwei Werken auf den Charakter des jeweils nächsten Werkes einstellen? Habe ich ein kleines „Ritual“ dafür, wie z.B. Augen schließen, tief durchatmen, mir das Tempo und den Charakter vorstellen, usw.?
- Wie kann ich mich auf mein Spiel fokussieren, wenn ich merke, dass Unruhe in mir aufsteigt? Was konkret hilft mir dann, bei mir und in der Musik zu bleiben?
- Wie kann ich souverän reagieren, wenn mir ein „Fehler“ passiert oder wenn ich eine kleine Gedächtnislücke habe? Habe ich das genügend „trainiert“?
Reflexion zum Auftritt an sich
- Wie betrete ich die Bühne? Begrüße ich das Publikum mit einer Verbeugung oder mit einem Kopfnicken und einem Lächeln? Womit fühle ich mich wohl und schaffe auch eine angenehme Stimmung, sowohl für mich selber als auch für das Publikum?
- Bin ich präsent im Augenblick? Kann ich eine Verbindung zum Publikum herstellen?
- Ist mir bewusst, dass ich mit meinem Spiel dem Publikum ein Geschenk mache? Auch bei einem Wettbewerb?
- Kann ich mein Spiel auf der Bühne selber auch genießen? Wenn nein, was bräuchte ich konkret, um meinen Auftritt genießen zu können?
- Wie verhalte ich mich nach dem Spiel? Kann ich den Applaus, den mir das Publikum schenkt, mit Freude entgegennehmen? Kann ich mich mit einem Lächeln beim Publikum für den Applaus bedanken? Ja, auch dies gehört zu einem gelungenen Auftritt dazu, und auch damit dürfen sich junge Musiker aktiv auseinandersetzen.
Gedanken zum Umgang mit dem Ergebnis
Selbstverständlich wünscht sich jeder Wettbewerbskandidat einen guten Preis. Bei Jugend-musiziert-Wettbewerben können für gewöhnlich auch für alle wirklich guten Leistungen gute Preise vergeben werden. Etwas anders sieht es aus bei Wettbewerben, bei denen es nur einen 1. Preis, einen 2. und einen 3. Preis gibt. Da gibt es ganz klar ein Ranking. Wenn man keinen Hauptpreis verliehen bekommen hat, heißt das also nicht zwingend, dass man keine gute Leistung erbracht hat. Es heißt nur, dass eben ein anderer einen noch besseren Auftritt absolviert hat. Unter Umständen tritt man in einer Kategorie an, in der nicht nur eine absolut herausragende Leistung geboten wurde, sondern gleich mehrere. Da kann es dann schon sein, dass man ohne Hauptpreis nach Hause geht. Dafür gibt es dann aber oft auch eine gewisse Anzahl an Sonderpreisen, z.B. für die besonders gut gelungene Interpretation eines bestimmten Werkes und dergleichen. Das ist ja auch eine schöne Honorierung für einen Auftritt!
Ich halte es übrigens für ungemein lehrreich, wenn sich die Wettbewerbs-Teilnehmer die anderen Kandidaten anhören, nicht unbedingt vor ihrem eigen Auftritt, aber danach. Erstens dient das der eigenen Standortbestimmung und zweitens kann man auch von den anderen Teilnehmern einiges lernen, vor allem, was die musikalische Gestaltung der Werke und das Verhalten auf der Bühne anbelangt.
Selbstreflexion
Ich bin ein großer Freund der Selbstreflexion, da ich schon oft die Erfahrung gemacht habe, dass es mich weiterbringt, sowohl in meiner Arbeit, als auch persönlich als Mensch. Man kann aus jeder Erfahrung so viel lernen. Und für die Wettbewerbserfahrung gilt: NACH dem Wettbewerb ist VOR dem Wettbewerb. Die Lernerfahrung vom vergangenen Wettbewerb kann man für den nächsten Wettbewerb nutzen. Wichtig ist, dass man einen gewissen Sportsgeist entwickelt und dranbleibt. Dann ist echtes Wachstum möglich!
Ich hoffe, meine Reflexionsfragen sind dem ein oder anderen Wettbewerbs-Kandidaten bei der persönlichen „Nachbereitung“ eines Wettbewerbs nützlich und spornen an, weiterhin mit viel Freude und Engagement dranzubleiben und in ein erfülltes Musikerleben hineinzuwachsen!
Herzlichst,
Andrea Holzer-Rhomberg