Das Selbstbild und seine Auswirkung auf das Üben
„Wer übt, hat’s nötig!“ Kennen Sie diesen Spruch? Oder: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Was haben diese Sprüche mit unserem Selbstbild zu tun? Was steckt da für ein „Mindset“ dahinter? Und was hat das mit dem Üben zu tun? Was hat unser eigenes Denken bzw. das Denken unserer Schüler mit Erfolg oder Scheitern zu tun?
Um diese Frage geht es im heutigen Blogartikel. Warum stellen sich mache Schüler immer wieder neuen großen Herausforderungen, die sie mutig angehen, während andere sich vor neuen „Schwierigkeiten“ scheuen und lieber bei dem bleiben, was sie bereits gut können?
Das statische Selbstbild
„Musikalität (oder Intelligenz) ist ein angeborenes Talent, entweder man hat es, oder man hat es nicht.“ Diese Aussage ist typisch für ein statisches, ein unveränderbares Selbstbild bzw. Weltbild. Man nimmt etwas als „von oben gegeben“ an, man schreibt sich selber keinen Einfluss darauf zu. Wie verhält sich ein Mensch mit diesem Selbstbild? Er muss sich immer wieder selbst beweisen, dass er „gut“ in etwas ist. Einen Misserfolg betrachtet es als persönliche Katastrophe. Deshalb lässt er sich nicht gerne auf neue Herausforderungen ein, denn diese könnten ja ein hohes Misserfolgspotential bergen. Sich für eine Leistung anstrengen zu müssen ist für ihn ein Zeichen von „Nichtbegabung“, siehe den Spruch oben: „Wer übt, hat’s nötig!“
Das dynamische Selbstbild
„Musikalität (oder Intelligenz) entwickelt sich kontinuierlich weiter, wenn man sich konsequent damit beschäftigt und daran arbeitet.“ Diese Aussage ist typisch für ein dynamisches, ein veränderbares Selbstbild. Ein Mensch mit diesem Selbstbild weiß, dass er all seine Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterentwickeln kann, wenn er daran arbeitet. Er sieht Anstrengung nicht als etwas Schlechtes an, denn er hat schon öfters dadurch das Gefühl der Selbstwirksamkeit erfahren. Er sieht auch einen Fehlschlag nicht als persönliche Katastrophe an, sondern als eine Lektion auf dem Weg zum Erfolg, nach dem Motto: „Übung macht den Meister!“
Und die Auswirkungen auf das Üben?
Es geht mir hier überhaupt nicht darum zu erörtern, bis zu welchem Grad Musikalität oder Intelligenz nun wirklich angeboren ist oder bis zu welchem Grad sie entwickelbar ist. Viel entscheidender ist doch die Frage, welches Selbstbild bzw. welche Weltsicht für unsere Schüler und für uns selbst förderlicher ist, welches Selbstbild uns im Leben weiter bringt!
Es wirkt sich doch positiv auf das Üben aus, wenn die Kinder am eigenen Leib erfahren, dass sich Anstrengung lohnt. Wenn sie nach einer intensiven Beschäftigung mit ihrem Instrument selber ihre Fortschritte bemerken, sind sie doch motiviert, weiter zu üben und noch mehr dazu zu lernen.
Manchmal aber kommen Kinder bereits mit einem sehr tief verankerten statischen Selbstbild zu uns. Das kann eine Art Mutlosigkeit sein: „Ich krieg das sowieso nicht hin“ oder aber auch eine Art Überheblichkeit: „Ich muss das nicht üben, ich habe ja Talent.“ Wie können wir da eine Veränderung dieses starren Denkens anstoßen?
Fragen, die zum Denken anregen
Um Schüler von diesem statischen „begabt oder unbegabt“-Denken weg zu führen hin zu einem Denken, das den Lernprozess selber fokussiert, können wir Fragen stellen, wie z. B.: Was hast du heute beim Üben Neues gelernt? Was genau hast du gemacht, um diese Passage in gleichmäßigem Tempo spielen zu können? Was für ein Bild hattest du bei dieser Phrase im Kopf? An welcher Kontaktstelle klang diese Phrase am besten?
Fragen, die das TUN selbst betreffen, und Fragen, die zum Reflektieren des eigenen Tuns führen. Solche Fragen führen zu wirklichem Lernen, zu Verständnis, zu Weiterentwicklung. Jeder kann sich jederzeit weiterentwickeln! Dieses Mindset möchte ich jedem meiner Schüler mitgeben.
Woran erkennen Sie in Ihrem Unterricht das Selbstbild Ihrer Schüler? Wie gehen Sie darauf ein? Über einen Austausch im Kommentar würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Rhomberg, ich bin ganz Ihrer Meinung, dass wir, um Jacobi zu zitieren, „jenseits von begabt und unbegabt“ aktiv werden müssen –
schon weil wir auf solche unveränderlichen Gaben ja gar keine Einfluss hätten.
Ihre Beschreibung des Schülers mit dem statischen Selbstbild leuchtet mir aber nicht so recht ein. Wer sich für unbegabt hält, kann doch einen Fehlschlag achselzuckends dieser eben unveränderlichen Tatsache zuschreiben und fröhlich (schlecht) weiterspielen, oder nicht? Das finden wir zwar nicht gut, aber der Schüler muß deswegen keine persönlche Katastrophe erleben, wie Sie schreiben. Ich finde, wir sollten die inneren Einstellungen der Schüler/innen weniger wertend betrachten und lieber indirekt angehen. Meine eigene Erfahrung als Schüler ist, dass konkrete technische oder musikalischen Hilfen und das Vorbild des Lehrers mich auch innerlich weitergebracht haben.
Mit den bässten Grüßen!
Ihr Michael Pöhlmann
Lieber Herr Pöhlmann,
vielen Dank für Ihren Beitrag! Da haben Sie natürlich völlig recht, wenn Sie sagen, dass es einen Schüler, der sich für „unbegabt“ hält, möglicherweise wenig stört, wenn er nicht gut spielt. Ich dachte mit meinem Beispiel eher an einen Schüler, der sich für sehr „begabt“ hält, daher meint, es sei nicht notwendig, konsequent zu üben, und dann z. B. beim Wettbewerb nicht das tolle Ergebnis erzielt, das er erwartet hätte. Da könnte sein Selbstbild von „begabt sein“ durchaus ins Wanken geraten.
Ich möchte mit meinen obigen Ausführungen keinesfalls wertend sein, mir geht es vor allem darum, dass die Kinder eine für sich selbst und ihr Tun förderliche Einstellung entwickeln. Eine Einstellung, bei der man sich selbst als „Wachsender“ erleben darf. Das Gefühl, dass man sich immer weiterentwickeln kann, jenseits von begabt und unbegabt, wie Sie so schön gesagt haben!
Ganz herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Rhomberg
aus meiner eigenen Erfahrung: meine Mutter fand es grundsätzlich nervig, wenn ich geübt habe. (Kannst du damit jetzt dann bitte wieder aufhören!) Sie war der Meinung, entweder man kanns oder man lässt es bleiben. Als ich dann mal Ferien bei meiner Tante verbrachte und mich entschuldigte, dass bestimmte Töne noch nicht so gut klängen, sagte diese nur ganz entspannt: deswegen soll man ja üben, damit es dann irgendwann gut klingt. Was für eine Erleichterung!
Herzliche Grüße
Yana König
Liebe Frau König,
danke für Ihren Kommentar! Das ist genau das, was ich meinte! Durch TUN entwickelt man sich weiter!
Liebe Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg