Die 3 Minuten-Regel
Und noch einmal möchte ich heute etwas zum Thema Üben schreiben. Dieses Thema ist so umfassend, es erschöpft sich wohl nie! Heute soll es um die 3 Minuten-Regel gehen, die ich schon oft bei Schülern und Schülerinnen erfolgreich angewendet habe. Wie genau funktioniert sie und wo soll sie am besten eingesetzt werden? Dazu möchte ich Ihnen heute ein paar Gedanken mitgeben.
Wann ist die 3 Minuten-Regel sinnvoll?
Sicher kennen Sie das: Eine Schülerin möchte gerne Vibrato lernen. Sie zeigen ihr Übungen dazu, und nun denkt das Kind, wenn es diese Übungen macht, kann es anschließend sofort mit Vibrato spielen. Das ist natürlich ein Trugschluss, und eine „Enttäuschung“ im wahrsten Sinne des Wortes ist vorprogrammiert. Kinder können zum Teil nur schwer damit umgehen, etwas nicht sofort und auf der Stelle umsetzen zu können. Die Spieltechnik auf der Geige besteht aber aus vielerlei Fertigkeiten, die erst durch regelmäßiges Üben mit der Zeit geschmeidig beherrscht werden. Dies sollte unbedingt dem Kind auch kommuniziert werden, damit keine falsche Erwartung entsteht. Man kann es sehr gut durch Vergleiche mit dem Sport verständlich machen. Den meisten Leuten – auch Kindern – leuchtet durchaus ein, dass man trainieren muss, um eine Sportart richtig zu erlernen. Sei es nun Schifahren, Eislaufen, Fussball, Basketball, oder anderes, ohne Training geht es einfach nicht. Lassen wir also unsere Schüler wissen, dass wir beim Erlernen einer neuen Spieltechnik wie Vibrato, Spiccato, Sautillé und dergleichen einfach regelmäßige Wiederholungen und Geduld brauchen. Das Ergebnis muss nicht nach der ersten Übe-Session bereits perfekt sein. Das ist schlicht und einfach nicht möglich. Das muss auch den Kindern klar sein, sonst sind sie enttäuscht und verlieren die Motivation.
Wie funktioniert die 3 Minuten-Regel?
Mit diesem Wissen ist es für die Kinder leichter zu „ertragen“, dass etwas nicht sofort perfekt funktioniert. Jetzt stellt sich die nächste Frage: Wie viel, bzw. wie lange soll denn die neue Spieltechnik geübt werden? Da man mit einer neuen Spieltechnik meist auch etwas andere bzw. anders modifizierte Bewegungen als bisher ausführt, sind zum Teil auch andere Muskeln und Muskelgruppen involviert. Um ein „Übertrainieren“ und ein Überstrapazieren dieser Muskeln zu vermeiden, sollte kurz aber immer wieder geübt werden. Maximal 3 Minuten am Stück. Lieber etwas später noch einmal 3 Minuten. Man kann natürlich mehrmals am Tag so eine 3 Minuten-Einheit einschieben, aber mindestens jeden Tag 3 Minuten sollten es schon sein. Es macht also Sinn, sich die Übe-Zeit für neue spieltechnische Fertigkeiten in so kleine 3 Minuten-Intervalle einzuteilen, und diese ganz regelmäßig einzuhalten. Durch das Bewusstsein, dass es nicht nach der ersten Einheit schon gut laufen muss, entsteht beim Üben auch keine Frustration. Man bleibt einfach konsequent dran und beobachtet, wie es Tag für Tag etwas geschmeidiger läuft. Dieses Mindset finde ich sehr wichtig. Die Kinder haben kein Gefühl von Scheitern, wenn etwas nicht gleich funktioniert. Außerdem können sie „live“ miterleben, wie ihre Fertigkeiten Schritt für Schritt geschmeidiger werden und ihre Spieltechnik „reift“. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl.
Wo kann man sie noch einsetzen?
Man kann die 3 Minuten-Regel auch bei sehr komplexen und/oder sehr schnellen und herausfordernden Passagen einsetzen. Wenn man z. B. eine Passage in ein bestimmtes Tempo bringen sollte. Hier beginnt man in einem Tempo, in dem man die Stelle gut beherrscht. Dann stellt man ein Metronom auf das gewünschte Tempo ein und spielt den ersten klitzekleinen Teil – z. B. nur 4 Sechzehntelnoten – im gewünschten Tempo. Man zerlegt also die Passage in lauter kleine „Mini-Teilchen“, und übt jedes dieser Mini-Teilchen separat in schnellem Tempo. Dabei achtet man sehr genau auf ökonomische Bewegungsabläufe, je schneller, desto kleiner die Bewegungen. Jedes Mini-Teilchen maximal 3 Minuten. Wenn ein Mini-Teilchen Schwierigkeiten bereitet, muss man es zuerst auf seine Einzelteile herunterbrechen und etwas langsamer beginnen. Erst wenn man die Abläufe klar im Kopf hat, kann man wieder ins Tempo gehen.
Hat man die Mini-Teilchen einzeln durchgearbeitet, kommt das Zusammensetzen. Hier kann man in einem gemütlichen Tempo beginnen und sich dann mit dem Metronom Strich für Strich nach oben arbeiten. Wenn Übergange zwischen den Mini-Teilchen nicht funktionieren, kann man auch immer zwei Teilchen zusammenfassen. Zuerst Teilchen eins und zwei, dann Teilchen zwei und drei usw. Es gibt natürlich noch viel mehr Möglichkeiten, eine Passage ins Tempo zu bringen. Eine davon ist, die Passage rhythmisch variiert spielen. Aber heute geht es mir vor allem darum, Ihnen die 3 Minuten-Regel vorzustellen. Besonders das Mindset, dass nicht alles nach der ersten Übe-Session bereits perfekt funktionieren muss, hat bei meinen Schülern große Erleichterung und wesentlich mehr Übe-Bereitschaft hervorgerufen.
Was haben Sie für Erfahrungen mit Ihren Schülern beim Erlernen neuer Spieltechniken? Wie vermitteln Sie ihnen, dass es Geduld und Beharrlichkeit braucht? Über einen Austausch hier in den Kommentaren würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Andrea
Wunderbar, die 3-Minuten-Regel. In meinem Schulzimmer habe ich Sanduhren: 30 Sek.,1,2,3,5,10 Minuten. Damit kann ich die 3 Minuten „sichtbar“ machen und spielerisch erreichen, dass die Schüler*innen dran bleiben:-)
Herzlichst
Vincent
Lieber Vincent,
das ist eine schöne Idee mit den Sanduhren!!! Danke für’s Teilen!
Liebe Grüße, Andrea