Es ist nur ein Fehler
Haben Sie auch schon erlebt, dass sich ein Kind im Unterricht entschuldigt, weil es einen „Fehler“ gespielt hat? Einen Ton, der so nicht in den Noten steht? Einen anderen Fingersatz? Einen Rhythmus, der nicht dem Notentext entspricht? Warum entschuldigt sich das Kind wohl dafür?
Fühlen Sie sich manchmal selber schlecht oder unzulänglich, weil eine Unterrichtssituation nicht so gelaufen ist, wie Sie sich das gewünscht hätten? Oder weil Ihnen vielleicht im Alltag eine Situation „entglitten“ ist?
Fehlerkultur
Das hängt wahrscheinlich mit der in unserer Gesellschaft gängigen Fehlerkultur zusammen: Nur KEIN Fehler ist gut, alles andere wird abgewertet. Dabei ist es bei jeglichem Lernen unerlässlich, „Fehler“ zu machen. Was ist den ein „Fehler“? Aus dem Wortstamm könnte man entnehmen, dass etwas „fehlt“, z. B. eine wichtige Information. Wir sollten unseren Schülern und uns selber immer wieder klar machen, dass ein Fehler lediglich ein Feedback ist. Ich tue etwas und erhalte dafür ein Feedback. Das Feedback in Form eines Fehlers gibt mir eine Information. Beispielsweise die Information, dass mein Problem auf dem von mir gewählten Weg nicht gelöst werden kann. Das heißt nichts anderes, als dass mir noch die richtige Information „fehlt“, wie ich das Problem tatsächlich lösen kann.
Gelassenheit
Wenn wir es schaffen, mit diesem Blick auf unsere „Fehler“ und Unzulänglichkeiten zu schauen, gibt uns das eine große Portion an Gelassenheit zurück. Wir müssen uns wegen eines Fehlers nicht schlecht fühlen, sondern suchen einfach weiter nach Lösungen. Wenn wir selber diese gelassene Sicht auf nicht sofort funktionierende Dinge haben, überträgt sich das oft auch auf unsere Schüler. Auch sie lernen, Fehler als Informationsquelle anzunehmen, und müssen sich nicht mehr dafür entschuldigen.
Wir sind alle Lernende
Sowohl unsere Schüler als auch wir selber als Unterrichtende – wir sind alle Lernende im Unterrichtsprozess. Keine Situation gleicht der anderen, kein Mensch gleicht dem anderen. Wir müssen uns also immer wieder auf neue Menschen und neue Situationen einlassen und lernen jedes Mal dazu. Es gibt immer Luft nach oben, und das ist auch gut so. Gehen Sie also nicht zu streng mit sich selber um, sodass Ihre Schüler auch nicht zu streng mit sich selber umgehen. Das heißt nicht, dass man die „Fehler“ als Feedback nicht ernst nehmen soll. Im Gegenteil, man sieht sich die Information des „Fehlers“ genau an und sucht ernsthaft nach einer anderen Lösung – aber eben ohne Angst, und ohne sich selber dabei schlecht zu machen. Schaffen Sie für Ihre Schüler und für sich selber ein „fehlerfreundliches“ Klima, das die Angst vor Fehlern endgültig ins Reich der Vergangenheit schickt. Zeigen Sie Ihren Schülern, einen „Fehler“ als hilfreiche Informationsquelle für’s Weiterlernen anzusehen. Das hilft ihnen, selbständig nach funktionierenden Lösungen zu suchen.
Es ist nur ein Fehler ...
Ein gelassener Umgang mit Fehlern macht das Leben für alle leichter. Fehler als Informationsquellen anzusehen trägt sehr zu einem lustvollen Lernen bei. Es lohnt sich also sehr, dieses Thema einmal eingehend mit den eigenen Schülern zu beleuchten.
Wie reagieren Ihre Schüler auf ihre eigenen Fehler? Wie gehen sie damit um? Und wie gehen Sie als Lehrperson mit Ihren eigenen Fehlern um? Wie mit den Fehlern Ihrer Schüler? Und wie mit dem Umgang der Schüler mit Fehlern? Ich weiß – Fragen über Fragen. Aber Ihre Meinung zu diesem Thema in den Kommentaren würde mich und die andern Leser und Leserinnen dieses Blogs sehr interessieren!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Ein Fehler ist immer ein Freund…
Früher hat es mich immer sehr gequält, wenn Schüler mir etwas „schlecht“ vorgespielt haben. Vermutlich habe ich sie viel zu schnell unterbrochen, um weitere Fehler und die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden. Heute lasse ich die Kinder fertig spielen und höre interessiert zu, was sie mir dabei über sich verraten. Und tatsächlich kommt es vor, dass sie ihre Fehler bei der fünften Wiederholung selber verbessern. Dann habe ich eine tolle Gelegenheit zu loben und bewusst zu machen, dass diese Steuerung auch ruhig schon früher einsetzen darf. Manchmal hilft es auch, dass ich ihnen einen kleinen Moment des unbeobachteten Einspielens ermögliche, dann klappt es gleich viel besser.
Vielen Dank, Andrea, für all diese Denkanstöße, die wir Blogleser aus Deinen Beiträgen mitnehmen dürfen!
Herzliche Grüße Regine
Liebe Andrea,
vielen Dank für das Thema und deine klugen Gedanken! Vor allem finde ich zunächst die Frage wichtig, wie wir selber mit uns umgehen, wenn wir Fehler machen. Während meiner Schulzeit hatte ich das Glück, sehr ermutigende und empathische Lehrer für Geige und Klavier zu haben, die mich wirklich mochten. An der Hochschule dann kam die kalte Dusche mit einer Geigenprofessorin, die mein Spiel sehr „begrenzt“ fand und es eigentlich auch unter ihrer Würde fand, Schulmusikerinnen wie mich zu unterrichten. Das war fatal und ich habe Jahre gebraucht, um mich von diesem Glaubenssatz zu befreien. Klar war: So wollte ICH nicht unterrichten.
Zu „Fehlern“:
Ich habe u.a. gelernt, wie wichtig es ist, wie wir Sprache benutzen. Es macht bei Kindern z.B. einen großen Unterschied, ob ich sage: „DU hast falsch gespielt“ oder „Deine Finger haben sich verirrt und nun schauen wir mal, wie wir ihnen helfen können.“
Wie gehe ich damit um, wenn Schüler*innen sich ständig entschuldigen? Wir können z.B. ein Spiel machen: „Spiel das nochmal und versuche, diesmal das Wort Entschuldigung seltener zu benutzen“ und dann können wir jedes Mal darüber lachen, wenn es doch passiert und uns freuen, wenn es nicht mehr passiert.
Wenn Schüler*innen sich total vergaloppiert haben und es wirklich schrecklich klingt, sage ich ihnen ehrlich wie es ist und sage ihnen, dass sowas in einem Lernprozess passiert und ich ja genau dafür da bin, ihnen aus dem Dilemma herauszuhelfen.
Es kann aber auch sein, dass sie, und da wird es ernster, es tun, um mich zu provozieren, weil in ihrem Leben gerade etwas schief läuft. Wie wir dann reagieren, hängt sehr von unserer Beziehung ab, das wichtigste ist aber, dass wir es nicht persönlich nehmen.
Immer mal wieder habe ich auch Kinder, die sagen: „Das kann ich nicht“ und meine Antwort ist: „Wenn du das schon könntest, bräuchtest du mich ja nicht mehr.“
Wenn das Vorgespielte schon recht gut ist, ich aber noch mehr herauskitzeln möchte, frage ich, ob sie Lust auf Verschönerungen haben, „ich hätte da noch ein paar Ideen“.
Unsere Schülerinnen und Schüler haben viel erlebt in der Zeit zwischen den Unterrichtsstunden, auch das sollte uns immer bewusst sein.
Herzliche Grüße aus Hamburg
Irmgard
Liebe Frau Holzer-Rohmberg,
danke für diesen Beitrag, den ich sehr wichtig finde.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest!
Ihr Michael Pöhlmann
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
auch ich möchte mich bedanken für die immer wieder interessanten Gedankenanstöße in Ihren Newslettern, die dazu beitragen, unseren Unterricht zu bereichern und individuell auf unsere Schüler einzugehen. Frohe Weihnachten und alles Gute für 2023!
Herzliche Grüße
Gudrun Huber
Liebe Frau Holzer-Rhomberg !
Danke für Ihren Beitrag ! Ich finde ihn sehr wichtig ! Wir leben in einer Null-Toleranz-Kultur, was Fehler betrifft. Die Kinder sind stark von der Schule geprägt, wo jede Äußerung gleich bewertet wird.
Das hat zwei Folgen :
1) Sie erstarren zur Salzsäule, sobald ein Fehler auftritt.
2) Sie entwickeln eine Unehrlichkeit nicht nur nach außen, sondern auch sich selber gegenüber, was den tatsächlichen
Leistungsstand betrifft.
Fazit : Es ist von elementarer Bedeutung, als Instrumentallehrer die Persönlichkeit des Schülers zu entwickeln.
Zu Punkt 1 :
Wir müssen weg von einer Fehler- hin zu einer Genusskultur ! Schließlich lösen wir im Instrumentalunterricht keine Mathematikaufgaben, sondern beschäftigen uns mit dem Schönsten, was es gibt : der Musik !
Ich mache meinen Schülern klar, wie wunderbar es für die Mama ist, wenn sie hört, wie das Kind sein Instrument spielt !
Ich erzähle dann, wie ich es selber sehr genossen habe, als meine eigenen Kinder noch zuhause waren und ich die Tür beim Kartoffelschälen immer offen hatte, wenn sie geübt haben. Ich fand das immer herrlich ! Und davon können die Kinder immer ausgehen, dass die Eltern auch sehr stolz darauf sind, wenn das Kind ein Instrument spielt ! Und die Eltern achten nicht auf Fehler, sie finden das einfach schön und erzählen gerne und mit geschwellter Brust : mein Kind spielt Geige, Cello oder Klavier !
Es sagt doch keiner : ach du Scheiße ! Nein : alle finden das immer ganz toll !
Das heißt, das Kind produziert hier etwas sehr Schönes ! Das muss man ihm klarmachen und es ist etwas ganz Besonderes,
ein Instrument zu spielen ! Da reicht schon ein wunderbar gestrichener Ton auf dem Cello und alle sind entzückt ! Wie macht sie das bloß ? So ein schöner Ton ! Wunderbar !
Dann ist da noch das Problem mit dem spontanen Abbrechen nach einem noch so minimalen Fehler. Ich erzähle dem Kind dann gerne aus meiner Orchester-Zeit. Stell Dir vor, der Kontrabassist in der letzten Reihe macht einen Fehler und ruft : Stopp ! Alles aufhören ! Ich habe einen Fehler gemacht ! Alles nochmal von vorne ! Das Kind findet das immer sehr lustig und sagt meistens : aber das hätte doch niemand gemerkt, wenn der einen Fehler macht ! Genauso ist es ! Und selbst wenn, würde das gar keine Rolle spielen, denn man genießt ja grade die Musik und da ist es völlig nebensächlich, ob jemand gerade einen Fehler macht !
A b e r : wenn Du fluchst oder sagst : Mist ! oder: darf ich nochmal ? Dann fällt das auf ! Stell Dir vor, der Kontrabassist in der letzten Reihe fängt auch noch an zu fluchen ! Diese Vorstellung finden die Kinder auch immer sehr lustig ! In diesem Falle würde das Fluchen und die Unterbrechung stören, nicht aber der Fehler, denn den hat sowieso keiner gemerkt !
Das heißt, die Devise ist : spiele frisch und frei von der Leber weg und scher Dich nicht um irgendwelche Fehler, denn die sind für den Zuhörer überhaupt nicht wichtig !
So, was mache ich denn, wenn mal alles schief läuft ? Das kann ja theoretisch auch passieren ! Da gibt es nur eins : lächeln !
Niemand nimmt einem das übel ! Ich erzähle dann gerne von einer Gitarrenklasse, die Weihnachtslieder vorspielen wollte.
Es ging wirklich alles schief ! Ob es nun das Zusammenspiel war oder etwas anderes. Es war so ein Durcheinander und man konnte nur bruchstückhaft Teile aus den Weihnachtsliedern erkennen. Dadurch entwickelte sich so eine heitere Stimmung unter den Zuhörern, dass wir hinterher alle in völlig gelöster Weihnachtsstimmung waren !
Was ich übrigens auch gerne bei meinen Schülern mache ist : ich „ gehe mit „ wenn sie spielen, bewege mich leicht dazu und lasse recht bald Bemerkungen fallen wie : schön ! Toll ! Super ! Und bei Fehlern : macht nichts, weiter. Das hilft auch immer gut. Oder ich lache, wenn was schiefgeht und sage : hahaha, das geht allen an dieser Stelle so !
Zu 2 :
In der Schule dürfen die Kinder sich tatsächlich nicht ganz in die Karten sehen lassen ! Es ist tatsächlich angesagt, auch einmal so zu tun, als ob man es könnte. Das ist aber im Instrumentalunterricht ganz und gar schädlich ! Es ist wichtig für den Schüler, nicht nur dem Lehrer, sondern vor allem sich selbst gegenüber absolut ehrlich zu sein ! Wenn eine Tonleiter noch nicht so klappt, dann ist das eben so. Es entwickelt sich ja ! Man kann also der Zukunft immer ganz positiv entgegensehen, denn es wird ja immer besser ! Aber es ist wichtig, wirklich das niedrigste Tempo zu nehmen, was man bewältigen kann. Alles andere hat keinen Zweck und ist nur Pfuscherei.
Das sind so meine Erfahrungen. Man muss den Schülern klarmachen, dass es etwas Magisches hat, wenn man ein Instrument spielt und die Nichtspielenden schon darüber staunen, wie man die Finger so leicht über die Tasten oder das Griffbrett bewegen kann.
Und dass dann noch was sehr Schönes dabei herauskommt ! Man muss sich also keine Gedanken über Fehler machen !
( Hinterher natürlich schon als Fehleranalyse, aber nicht in dieser Situation ).
Ich möchte Ihnen nochmal sagen, wie toll ich es finde, dass Sie in diesem Forum diesen Gedankenaustausch ermöglicht haben !
Ich bin immer ganz gespannt, was es als neuesten Beitrag gibt !
Ganz lieben Dank dafür und Ihnen fröhliche und besinnliche Weihnachten !
Ganz herzlich, Christine Dreismann !
Liebe Christine Dreismann, Ihr Beitrag hat mir sehr gefallen: den Begriff Genusskultur mag ich sehr und das Beispiel mit dem Orchester werde ich mir merken. Ihr Humor und Ihr Wohlwollen beim Unterrichten, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren, spricht mir sehr aus dem Herzen.
Grüße aus Hamburg, Irmgard Fliegner
Liebe Frau Fliegner !
Für Ihre freundliche Bewertung meines Kommentars möchte ich mich ganz herzlich bedanken !
Auch Ihnen wünsche ich frohe Weihnachten und ein gesundes Neues Jahr 2023 !
Herzlich, Christine Dreismann !