Kennen Sie die Übe-Lupe?
Immer wieder sind wir als Musikpädagogen gefordert, unseren Schülern gute Übe-Methoden mit auf den Weg zu geben. Schließlich soll das Üben ja von Erfolg gekrönt sein! Deshalb ist es so wichtig, gute Übe-Gewohnheiten zu etablieren. Kinder neigen dazu, ein Stück von vorne zu beginnen und durchzuspielen. Irgendwann landen sie dann bei einer „schwierigen Stelle“. Dort bleiben sie stecken. Was geschieht dann? Sie beginnen das Stück wieder von vorne. Wie es weiter geht, wissen wir ja alle …
Übe-Werkzeug-Koffer
Um die Frustration zu vermeiden, die sich über kurz oder lang bei dieser Übe-Methode einstellt, brauchen wir eine ganze Palette an „Übe-Werkzeugen“. Wie ein Handwerker einen Koffer mit den nötigen Werkzeugen für seine Arbeit ständig mitführt , sollten auch wir einen „Koffer“ voller Übe-Werkzeuge bereitstehen haben. Eines davon möchte ich heute vorstellen, es ist die „Übe-Lupe“.
Die Übe-Lupe
Sie kommt bei jenen Stellen zum Einsatz, die nicht einfach vom Blatt gespielt werden können. So eine Stelle wird genau „unter die Lupe“ genommen. Als erstes wird die Stelle „unter der Lupe“ farbig markiert. Bei sehr jungen Kindern male ich ein „Wölkchen“ um den Ausschnitt herum, bei etwas fortgeschritteneren Schülern wird die Stelle mit einer farbigen Klammer gekennzeichnet.
Wo liegt die Schwierigkeit?
Als erstes gilt es herauszufinden, was denn das Schwierige an dieser Stelle ist. Ist es die Intonation? Die richtige Abfolge von Halbton- und Ganztonschritten? Ein Lagenwechsel? Ein Saitenwechsel? Der Rhythmus? Die Striche und Bindungen? Das Tempo? Die Dynamik?
Wenn ein Kind nicht weiß, was ihm an dieser Stelle Schwierigkeiten bereitet, soll es die Stelle ganz langsam und aufmerksam durchspielen, um das herauszufinden. Sind es mehrere Dinge, die Schwierigkeiten bereiten, nehmen wir erst einmal nur eine einzige heraus. Im folgenden Beispiel unten ist es die richtige Abfolge von Halb- und Ganztonschritten. Wir schreiben die Notennamen unter die Noten und zeichnen dann die Halbton- und Ganztonschritte ein. Dabei stoßen wir auf die übermäßige Sekund. Da diese einen Abstand von einem Ganzton- plus einem Halbtonschritt hat, bekommt sie ein „Sonderzeichen“ – hier z. B. eine geschwungene Klammer.
Jetzt wird die Tonfolge dieser Stelle geübt, bis sie „leicht“ zu spielen ist. Das benötigt unter Umständen 10 bis 20 Wiederholungen. Diese kann man durch verschiedene „Aufgaben“ (siehe auch Übe-Kreisel) abwechslungsreich gestalten:
- spiele jeden Ton mit ganzem Bogen
- spiele jeden Ton 2x
- spiele alle Töne in der oberen Bogenhälfte
- spiele alle Töne mit Martélé-Strich
- spiele die Töne mit den Rhythmen ti ti ta ta, ta ta ti ti, ta ti ti ta, …
- spiele die Tonfolge von hinten nach vorne
- usw.
Übe-Lupen-Stelle wieder „einbauen“
Im nächsten Schritt setzen wir die Klammer etwas größer: Ein paar Töne vor und ein paar Töne nach der besagten Stelle werden dazugenommen. Hier könnte man jetzt eine andersfarbige Klammer setzen, um den Umfang der zu spielenden Passage zu kennzeichnen.
Die „neue“ Klammer wird wieder mehrmals und auf unterschiedliche Arten wiederholt, bis sie „leicht“ zu spielen ist. Jetzt vergrößern wir den zu übenden Bereich noch mehr. Eventuell kann schon die ganze Phrase gespielt werden, in der die „knifflige“ Stelle vorkommt. So wird die vorher „schwierige“ Passage nun Schritt für Schritt wieder in den Notentext eingebaut, sodass sie dann auch im Zusammenhang fließend gespielt werden kann.
Sollte das noch nicht einwandfrei klappen, ist das auch nicht schlimm. Die Kinder lernen hier, Geduld zu haben und konsequent an einer Aufgabe dranzubleiben. Das Kind soll jetzt die Stelle erst einmal ruhen lassen und erst am nächsten und den darauffolgenden Tagen die einzelnen Übe-Schritte wiederholen. Dazwischen dürfen selbstverständlich die Lieblingsstücke gespielt werden, um die Spielfreude zu erhalten. Wenn die oben beschriebenen Übeschritte mehrere Tage hintereinander so ausgeführt werden, garantiere ich Ihnen, dass das Erfolgserlebnis nicht auf sich warten lässt!
Übe-Lupen-Karte
Um bei sehr jungen Kindern den Fokus auf den zu übenden Stellen zu halten kann man auch die Noten der schwierigen Stellen abfotografieren, ausdrucken und auf eine „Lupen-Karte“ kleben. Manchmal empfiehlt es sich sogar, die „schwierigen“ Stellen eines Musikstückes mit Hilfe solcher Karten vorzubereiten und zu üben, ehe man an das „neue“ Stück herangeht. Eine Vorlage für eine „Lupen-Karte“ finden Sie hier.
Was für Erfahrungen machen Sie mit Ihren Schülern beim Üben von „schwierigen“ Stellen? Wie schaffen Sie es, die Kinder fokussiert zu halten? Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen.
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
vielen Dank für die zahlreichen guten Übe-Ideen!
Gerne steure ich auch einige Übe-Spielchen bei, die mir auf Fortbildungen und im Austausch mit Kollegen begegnet sind und die sich in der Praxis sehr gut bewährt haben:
1. Mäuschen wegüben:
Sechs Mäuschen sitzen auf dem Notenständer, bei jedem fehlerfreien Durchgang der Übestelle kommt ein Mäuschen weg – so oft wiederholen, bis alle weggeübt sind.
Erschwerte Variante: Schleicht sich bei einer Wiederholung ein Fehler ein, kommt ein Mäuschen wieder zurück.
2. Schnipsel-Spiel:
Die ausgeschnittenen Übestellen liegen in einer kleinen Schachtel: Nach z.B. 5 Wiederholungen oder fehlerfreiem Vortrag einer Übestelle kommt diese in ein anderes Schächtelchen. So lange üben, bis alle Schnipsel „rübergewandert“ sind.
Dieses Spiel lässt sich ausweiten auf bis zu sieben Fächer oder Schachteln – dann können die Stellen ähnlich wie Vokabeln mit dem Vokabelkasten geübt werden.
3. Turm bauen:
Als ich noch mit meinen eigenen Kindern geübt habe, war eine recht unaufwändige Methode sehr hilfreich:
Wir haben Duplo- oder Lego-Bausteine in 3 Farben ausgewählt und den Farben Bewertungen zugeordnet wie z.B. rot=gut, gelb=mittel, blau=nicht so gut.
Nach jedem Durchgang einer Übestelle wuchs der Turm um einen Stein, natürlich mit dem Ziel, das Bauwerk aus möglichst vielen oder gar ausschließlich roten Steinen zu bauen…
Herzliche Grüße
Simone Burger-Michielsen
Liebe Frau Burger-Michielsen,
vielen Dank für Ihre schönen, kurzweiligen und motivierenden Übe-Ideen!
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg