Motivation oder Manipulation?
Können wir als Instrumental-Lehrkräfte überhaupt unsere Schüler motivieren? Ist eine Motivation, die von außen kommt, nicht immer eine Art Manipulation?
Ja, was ist denn Motivation eigentlich, und wann bzw. wodurch fühlt sich ein Mensch motiviert? Es heißt ja in der Psychologie, all unser Tun werde bestimmt einerseits durch Aussicht auf Bedürfnisbefriedigung und andrerseits durch Vermeidung von Schmerz. Über die negativen Auswirkungen einer Erziehung, die auf Gewalt und Schmerz begründet ist, möchte ich heute nicht eingehen. Vielmehr möchte ich darüber nachdenken, was die Bedürfnisse unserer Schüler sind. Was treibt die jungen Menschen an, ein Musikinstrument zu erlernen und viele Jahre lang konsequent dran zu bleiben?
Motivation durch Zugehörigkeit
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist für viele junge Instrumentalisten die erste große treibende Kraft. Sehr viele Kinder, deren Eltern zu Hause ein Instrument spielen, möchten ebenso dieses Instrument erlernen. Die gemeinsame Beschäftigung von Mutter/Vater und Kind mit dem Instrument ist nicht umsonst ein zentrales Element der Suzuki-Methode. Das gemeinsame Üben und Spielen stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit. Dasselbe gilt für Ensemble- und Orchesterspiel. Die Motivation durch das Zusammenspiel ist ungleich größer, als wenn jedes Kind nur immer allein im stillen Kämmerlein spielen würde. Deshalb ist das gemeinsame Musizieren – auch bei unterschiedlichen Lern-Niveaus – so unglaublich wertvoll. Diese Art von Motivation ist viel nachhaltiger als eine Belohnung mit Sticker oder Gummibärchen.
Motivation durch Kompetenz
Ein weiteres Bedürfnis, das bei heranwachsenden Kindern oft stark in den Vordergrund tritt, ist das Bedürfnis nach „Können“. Sie haben ein tolles Musikstück gehört und wollen es spielen können. Sie stellen sich gerne neuen Herausforderungen. Dazu gehört das Beherrschen bestimmter Spieltechniken oder auch die Teilnahme an Wettbewerben. Die heranwachsenden Musiker wollen sich beweisen. Sie entwickeln eine Art „sportlichen Ehrgeiz“. Das Gefühl von Kompetenz kann ein sehr großer Motivator sein.
Motivation durch Selbstbestimmung
Auch das Bedürfnis nach Selbstbestimmung ist bei uns Menschen sehr stark ausgeprägt. Das fängt schon in sehr jungen Jahren an. „Kann ich selber …“ Diesen Satz kennen Sie sicher auch von Ihren eigenen Kindern, oder von sich selber, wenn Sie sich an Ihre eigene Kindheit erinnern. Auch Selbstbestimmung trägt einen großen Teil zur Motivation beim Lernen bei.
Motivation versus Manipulation
Kann ich nun überhaupt ein Kind motivieren, oder ist das in jedem Fall Manipulation? Was heißt denn Manipulation? Manipulation würde heißen, ich bringe jemanden dazu, etwas zu tun, das er gar nicht tun will, z. B. indem ich ihm eine Belohnung oder gar eine Bestrafung in Aussicht stelle. Manipulation kann auch sein, wenn ich – sei es nun unbewusst oder sogar ganz bewusst – die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kindes gegeneinander ausspiele, z. B. das Bedürfnis nach Selbstbestimmung gegen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. „Du übst jetzt das was ich dir sage, sonst darfst du nicht in der Gruppe mitspielen.“
Der pädagogische Spagat
Für gewöhnlich kommen unsere Schüler ja zu uns in den Unterricht, weil sie etwas von uns lernen möchten. Sie erkennen unsere Expertise an und sind intrinsisch motiviert, etwas von uns zu lernen. Unsere Aufgabe ist es, ihre Bedürfnisse nach Kompetenz, nach Zugehörigkeit und nach Selbstbestimmung wahrzunehmen und auch ernst zunehmen, um die Motivation zu erhalten. Das heißt nicht, dass ich meine Führungsrolle an das Kind abgebe. Wenn ein Kind z. B. ein Musikstück erlernen will, das für seinen jetzigen Lernstand einfach noch viel zu schwierig ist, kann ich mit ihm etwa vorläufig eine kleine Passage aus dem Stück erarbeiten, die es im Moment bewältigen kann – sozusagen als „Vorgeschmack“ – und daneben bzw. danach die Übungen und Etüden mit ihm erarbeiten, die es zur Bewältigung der technischen Schwierigkeiten im Rest des Musikstückes braucht. Wenn ein junges Kind unbedingt „selbstbestimmt“ üben will, kann ich ihm mehrere Übungen zum selben Thema zur Auswahl stellen und es eine davon auswählen lassen. Oder die Reihenfolge der Übungen wählen lassen.
Das gilt übrigens auch für das Üben mit den Eltern zu Hause. Es gibt natürlich bestimmte Regeln, die sind nicht verhandelbar. So funktioniert unser Gesellschaftsleben nun einmal. Ich darf nicht bei Rot über die Ampel fahren, weil ich gerade keine Lust habe, stehen zu bleiben. So wird in den meisten Familien auch nicht darüber diskutiert, ob die Zähne geputzt oder die Hausaufgaben gemacht werden oder nicht. Genau so sollte auch klar sein, dass – wenn man erfolgreich ein Instrument erlernen will – regelmäßiges Üben unerlässlich ist. Man kann aber auf das Bedürfnis der Selbstbestimmtheit des Kindes eingehen, indem man das Kind z. B. die Übezeiten an den jeweiligen Wochentagen auswählen lässt oder dergleichen. Die jungen Menschen wollen vor allem „gesehen“ und ernst genommen werden. Wenn wir ihnen diese Aufmerksamkeit aus vollem Herzen geben können, braucht es keine Manipulaton!
Wie denken Sie über Motivation und Manipulation? Über einen Austausch Ihrer Erfahrungen und Erlebnisse mit diesem Thema würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Andrea,
da hast ein sehr interessantes Thema gewählt. Danke! Ich denke, jeder Pädagoge, der ernsthaft an seiner Aufgabe und an den Menschen, die sich ihm anvertraut haben, interessiert ist, wird nicht manupulativ arbeiten. Du gehst auf die Frage ein, wann man von Motivation und wann von Manipulation spricht. Und ich meine, daß wir einen Schüler manipulieren, wenn unsere Beeinflussung nicht mit seinen ureigensten Wünschen konform geht. Was die Motivation angeht, so ist sie so vielfältig in ihrer Ausprägung, wie unsere Schüler vielfältig sind. Die kleinen Schüler sind allein durch die Beziehung zum Lehrer motiviert. Unsere Freude an dem, was sie erreicht haben, beflügelt sie in ihrem weiteren Üben. Die meisten üben für den Lehrer. Natürlich ist, wie du auch erwähnt hast, das Spielen in Ensembles/Orchestern dann der nächste wichtige Schritt für die Motivation. Was aber ist mit älteren Schülern, die keine Ensembles finden aus unterschiedlichen Gründen oder die nicht vorspielen können? Eine solche Schülerin von mir, die früher Mobbing in dem Zusammenhang erlebt hat, hat mir in dieser Hinsicht viel zu denken gegeben. Vorspiele sind für sie undenkbar. Hier war die Motivation die absolute Ehrlichkeit und mein Verständnis für ihre Schwierigkeiten. In dem Fall war es möglich, die Eltern mit ins Boot zu holen, die mit ihrer Tochter zuhause musiziert haben. Der Boden der Motivation für alle Schüler ist, denke ich, v.a. das „Wahrgenommen und Gesehen“ werden.
Dieses Thema, liebe Andrea, löst so viele Überlegungen aus! Aber vielleicht lass ich es bei diesen Gedanken.
Herzliche Grüße, Iris Unterricker
Liebe Iris,
vielen Dank für Deine so tiefgründigen Gedanken zu diesem Thema! Das Beispiel Deiner Schülerin, die Mobbing erlebt hat, zeigt, dass man mit sehr viel Feingefühl an dieses Thema herangehen muss und nichts erzwingen kann. Von der ehrlichen Akzeptanz dieses Problems aus kann man dann sehr behutsam kleine Erfolgsreferenzen aufbauen, sodass das Kind mit der Zeit ein Gefühl von Kompetenz und Selbstbewusstsein entwickeln kann. Ich denke, es erfordert ein gutes Maß an psychologischem Wissen und Feingefühl, um Kinder ihrer Persönlichkeit entsprechend bestmöglich zu fördern.
Danke für Deinen wertvollen Beitrag und liebe Grüße,
Andrea