Neujahrsvorsätze für den Instrumentalunterricht?
Im neuen Jahr wird alles besser! Da werde ich …
Gehören Sie auch zu den Menschen, die sich immer wieder zum Jahreswechsel sehr motiviert Neujahrsvorsätze vornehmen? Das ist ja an und für sich nichts Schlechtes. Es ist doch gut zu wissen, dass man immer wieder einen „Neuanfang“ starten kann! Man kann sich immer wieder dafür einsetzen, Dinge zu verbessern. Dennoch scheitern unsere Bemühungen oft nach kurzer Zeit, und bald ist alles wieder so wie vorher. Warum tun wir Menschen uns nur so schwer, aus unseren gewohnten Mustern auszubrechen?
Neujahrsvorsätze kann man sich für jeden Lebensbereich vornehmen, selbstverständlich auch für den Berufsalltag im Instrumentalunterricht. Gibt es hier Bereiche, die Sie gerne verändern oder verbessern möchten? Bereiche, in denen Sie sich immer wieder einmal unzufrieden, genervt oder gar unzulänglich fühlen?
Mehr Geduld mit den Schülern
Unlängst sagte mir ein Kollege, er wünschte, er hätte mehr Geduld mit seinen Schülern. Das würden sich wahrscheinlich viele von uns wünschen. Wie sieht es aber ganz konkret mit „mehr Geduld“ als Neujahrsvorsatz aus? Ich denke, dieser Vorsatz wäre in dieser Form voraussichtlich zum Scheitern verurteilt. Was heißt das denn: Mehr Geduld haben? Heißt das, immer wieder „die Augen zudrücken“, wenn der Schüler zum gefühlt 27. Mal denselben „Fehler“ macht?
Werden Sie sehr konkret
Ich würde für mich persönlich diesen Vorsatz konkreter formulieren. Wenn ein Schüler zum gefühlt 27. Mal etwas nicht verstanden hat, dann heißt für mich Geduld, dass ich mir noch eine 28. Variante der Erklärung überlege. Eine Erklärung, eine Demonstration, einen Tipp oder dergleichen, bis er wirklich versteht, worum es geht. Wenn er es auf die eine Art nicht versteht, nützt es nichts, wenn ich dieselbe Art der Erklärung „geduldig“ wiederhole. Ich würde den Neujahrsvorsatz „mehr Geduld“ also eher so formulieren: Ich werde meinen Schülern die Lernschritte auf so viele verschiedene Arten und auf so vielen verschiedenen „Kanälen“ vermitteln, bis sie verstanden haben und umsetzen können. Ich suche also bei „hartnäckigen Fällen“ für jeden Schüler seine persönliche „Klick-Variante“ (jene Variante der Erklärung, bei der es beim Schüler „Klick“ macht!). Das wäre für mich in diesem Fall „mehr Geduld“ mit dem Schüler.
Bezieht sich meine Ungeduld auf konsequentes Nichtüben des Schülers, muss ich mir überlegen, wie ich ihm (und auch seinen Eltern) die Notwendigkeit des Übens näherbringen kann. Das Verständnis für regelmäßiges Fußball-Training ist bei sportaffinen Eltern und Kindern ja meist vorhanden. Das ist in unserem Bereich oft nur ein Kommunikationsmanko. Wenn von allen Seiten das Verständnis für die Notwendigkeit vorhanden ist, suche ich nach Möglichkeiten, um dem Schüler das Üben „schmackhaft“ zu machen:
- Bei jungen Kindern wirkt ein Blatt zum Ausmalen, wo nach jeder Übe-Session ein Feld ausgemalt werden darf und so am Schluss ein schönes Bild entsteht, oft Wunder.
- Ältere Schülern lassen sich vielleicht lieber auf eine „Übe-Challenge“ von einer gewissen Anzahl an Tagen sein, die protokolliert wird und am Ende mit einer Urkunde oder dergleichen belohnt wird.
- Auch das Mitwirken bei einer ausgesuchten musikalischen Veranstaltung, bei der nur ausgewählte, gut vorbereitete Schüler mitspielen dürfen, kann eine große Übemotivation auslösen.
- Ein Übeplan für ein Musikstück, bei dem der Schüler sich selber aussuchen darf, mit welchem musikalischen Aspekt (Intonation, Rhythmus, Tonart, Phrasierung, …) er sich die kommende Woche besonders beschäftigen möchte, ist auch sehr reizvoll. Hier gibt es viele Möglichkeiten.
Nachfragen
Wenn wir unsere Schüler jede Woche nach ihren Übe-Erfahrungen der vergangenen Woche fragen und diese mit ihnen besprechen, erkennen sie mit der Zeit, dass ihr selbständiges Üben einen ganz wesentlichen Teil des Lernens an ihrem Instrument ausmacht. Sie beginnen, ihren Anteil der Verantwortung für das Lernen zu erkennen und zu übernehmen. Mein Anteil als Lehrer ist, sie dabei mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Und da wäre ich auch schon beim nächsten Punkt auf der Liste der gängigsten Neujahrsvorsätze für Instrumentallehrer:
Unterricht insprierend gestalten
Um meinen Unterricht inspirierend zu gestalten muss ich als erstes gut vorbereitet sein, das versteht sich von selbst. Ich muss die Stücke, die ich unterrichte, sehr gut kennen und auch etwas Interessantes dazu zu sagen haben, z. B. über den Komponisten, die Entstehungszeit, die „Geschichte“, die verschiedenen musikalischen Aspekte, usw.
Um meinen Unterricht regelmäßig inspirierend gestalten zu können muss ich aber vor allem auch auf mich selber achten. Auf meine körperliches, geistiges und seelisches Wohlbefinden, auf mein Energielevel. Ohne Energie kann ich nicht inspirierend unterrichten. Einer meiner persönlichen Neujahrsvorsätze ist es, besser auf meinen „Energiehaushalt“ zu achten. Auch dieser Vorsatz muss natürlich in ganz konkrete Aufgaben aufgeteilt und formuliert werden, sonst ist er genauso zum Scheitern verurteilt. Wie schaffen wir es also, dass unsere Neujahrsvorsätze nicht nach wenigen Tagen wie ein Feuerwerk im All „verpuffen“?
Kleine Schritte
Ich glaube, das Geheimnis für eine nachhaltige Veränderung sind hier die kleinen Schritte. Meist wollen wir zu viel auf einmal. Wenn ich mir einen Tagesplan mache, auf dem steht: Am Vormittag 3 Stunden Geige üben, 1 Stunde Fitness-Training, das Wohnzimmer putzen, die Korrespondenz machen, mit Mutter telefonieren, am Nachmittag 6 Stunden Unterricht, am Abend ein Fachbuch lesen, … das kann nicht gut gehen. So überfüllte Tages-TODO-Listen sind meist auf Dauer nicht durchführbar. Wenn wir es dann nicht schaffen, sind wir frustriert. Wie wäre es, eine Art kleines Tagebuch zu führen, in das wir jeden Tag erst einmal nur so kleine Schrittchen eintragen, die wir mit Sicherheit auch schaffen können?
- Beim Punkt „mehr Geduld“ könnte das z. B. sein, dass ich mich am Tag X ganz konkret darum kümmere, dass die Schülerin Y das Gefühl für einen geraden Bogenstrich bekommt und mit einer inspirierenden Idee dafür sorge, dass sie sich dieses Gefühl ganz bewusst jeden Tag beim Üben (und wenn es nur 5 Minuten sind!) in Erinnerung ruft.
- Beim Punkt „Energiehaushalt“ könnte es heißen, dass ich mir für den Musikschul-Nachmittag schlicht und einfach eine Trinkflasche mit klarem Wasser oder einem wohlschmeckendem Tee „vor die Nase“ stelle, die bis zum Abend unbedingt geleert werden muss.
- Oder: Vor dem Schlafen gehen lese ich heute ein paar Zeilen in einem inspirierenden Buch, anstatt mir im Fernsehen Mord und Totschlag oder andere Katastrophen anzusehen.
Durchhalten!
Ich weiß, das sind nur kleine Maßnahmen, aber es ist wichtig, dass diese am Abend im „Tagebuch“ abgehakt werden können. Auch wir brauchen unsere Erfolgserlebnisse, nicht nur unsere Schüler! Und: Wir dürfen die Flinte nicht gleich ins Korn werfen, wenn wir an einem Tag unseren eigenen Maßstäben nicht entsprochen haben! Lassen Sie uns doch auch geduldig mit uns selber sein! Jeder neue Tag bringt neue Möglichkeiten, nicht nur der Neujahrstag. Wir können uns jeden Tag weiterentwickeln, jeden Tag unsere Handlungsmöglichkeiten und unseren Blickwinkel erweitern!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele sowohl für Ihre Schüler als auch für Sie selber inspirierende Unterrichtsstunden im neuen Jahr 2019!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
Wie halten sie es mit Neujahrsvorsätzen? Oder generell mit Vorsätzen, etwas zu ändern? Haben Sie Erfahrungen damit? Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen!
Liebe Frau Holzer-Rhomberg,
danke schön für die vielen hilfreichen Vorschläge: Diesen Newsletter drucke ich mir aus, damit ich immer wieder daran erinnert werde.
Auch Ihnen beste Wünsche für 2019!
Herzliche Grüße Gudrun Huber
Vielen Dank!
Liebe Andrea,
das mit dem Aufschreiben ist eine Super-Idee!
Und tatsächlich täglich und nicht nur einmalig – das werde ich auf jeden Fall ausprobieren.
Für das neue Jahr allerbeste Gesundheit und viel Energie für deine Schüler und die immer wieder so inspirierenden Newsletters und herzliche Grüße
Simone
Danke, liebe Simone!
Liebe Andrea Holzer-Rhomberg und liebe Kolleginnen und Kollegen, die das hier lesen,
zum Thema Geduld habe ich eine persönliche Anmerkung. Mir wird oft zurückgemeldet, dass ich unendlich viel Geduld habe. Aber da ich ein Mensch bin, passiert natürlich auch ab und zu das Gegenteil. So war ich mit einer Schülerin in ihrer letzten Stunde vor den Weihnachtsferien nicht geduldig und wurde sogar ärgerlich. Für die betroffene Schülerin, die sehr mit ihrem Selbstwertgefühl zu kämpfen hat, war das überhaupt nicht hilfreich, sondern schädlich. Also werde ich mich in der nächsten Stunde bei ihr entschuldigen. Ich finde das sehr wichtig.
Ich finde auch, wir sollten unsere Gefühle sehr offen unseren Schülern gegenüber ansprechen. Es passiert schon mal, dass ich sage: „Ich merke gerade, dass ich total sauer werde auf dich, das will ich nicht, also sollten wir mal besprechen, was du mit der Geige möchtest und was du dir von mir wünscht.“
Ganz selten habe ich auch Schüler, die versuchen, mich zu provozieren (z.B. Schüler, die sich nicht selbst das Instrument ausgesucht haben, sondern die dem Wunsch der Elten nachgegeben haben) denen ich sage: „Ich glaube, du verwechselst hier etwas. Nicht ICH will etwas von DIR. Du bist hier, weil du bei mir Geige lernen möchtest. Das kannst du von mir kriegen. Wenn du das bei mir nicht willst, such dir einen anderen Lehrer oder lass es mit dem Geigen sein.“
Ich versuche, mir immer bewusst zu sein, dass die Kinder oder Erwachsenen, die zu mir kommen, ihre ganz verschiedenen Biografien mitbringen und dass ich als Lehrerin ein besonderes Eins-zu-Eins-Verhältnis mit ihnen habe. Wenn ich das im Focus habe, geht es mit der GEDULD meistens gut.
Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, mit meinen Schülerinnen und Schülern konsequenter die innere Vorbereitung für die ersten Töne eines Stückes zu trainieren.
Ich freue mich auf alle Newsletters im kommenden Jahr!
Irmgard Fliegner
Liebe Frau Fliegner,
vielen dank für Ihren so ausführlichen Kommentar! Selbstverständlich sind wir auch Menschen und dürfen auch mal Wut oder Ärger empfinden. Es ist aber ein Unterschied, ob ich die Wut oder den Ärger einfach an meinem Schüler „auslasse“, oder ob ich – wie Sie so schön beschrieben haben – ihm auf Augenhöhe begegne und ihm meinen Ärger und das Warum des Ärgers offen aber ruhig kommuniziere. Die Schüler wollen doch auch, dass wir authentische Menschen sind! Offenheit ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen, und das ist es ja, was wir möchten: Eine vertrauensvolle Beziehung zu unseren Schülern aufbauen, denn diese ist die wichtigste Voraussetzung für jegliches Lernen.
Herzliche Grüße,
Andrea Holzer-Rhomberg
Liebe Andrea!
Danke für die Newsletters, die sind wirklich sehr inspirierend! Ich wünsche Dir auch ein erfolgreiches, herausforderndes und zufriedenes neues Jahr! Liebe Grüße Margarete
Vielen Dank Margarete!