Wo liegt der Schwerpunkt?
In der musikpädagogischen Landschaft gibt es mittlerweile eine große Anzahl unterschiedlicher Unterrichts-Settings für Streicher. Von Streicherklassen an Grundschulen oder Gymnasien über Einzel- oder Gruppenunterricht in verschiedenen Kombinationen an Musikschulen bis zur Begabtenförderung in Vorbereitungsklassen an Universitäten reicht das Spektrum. Wer also ein Streichinstrument erlernen will, dem stehen viele Möglichkeiten offen. Die Frage ist nun: Welches Setting passt für welches Kind? Wo liegt der Schwerpunkt in der Ausbildung bei den unterschiedlichen Unterrichtsangeboten?
Schwerpunkt: Allgemeine Musikalisierung
Ein Streicherklassenunterricht in einer Schulklasse bringt für den Pädagogen ganz andere Herausforderungen als ein Einzelunterricht. Er ist mit einer meist sehr heterogenen Gruppe von Kindern konfrontiert. Da sind Kinder, die bereits im Kindergarten musiziert haben, dann Kinder, die keinerlei musikalische Vorbildung haben, oder auch Kinder, die aus einer musikalisch völlig anderen Tradition kommen. Wenn ein Kind mit Musik mit Vierteltönen aufgewachsen ist, wird unser diatonisches System der westlichen Musiktradition wahrscheinlich ziemliches Neuland sein. Dies alles muss der Pädagoge unter unter einen Hut bringen. In diesem Unterrichts-Setting wird wahrscheinlich der Schwerpunkt hauptsächlich auf einer allgemeinen Musikalisierung liegen, die das Kind „praktisch“ auf einem Instrument „erfahren“ darf. Es lernt, musikalische Phänomene gleich auf einem Instrument umzusetzen, was viel mehr Freude bereitet, als diese „nur“ auf kognitiver Ebene kennen zu lernen. Hier kommen auch Kinder mit einem Instrument in Berührung, die sonst keine Möglichkeit für einen Instrumentalunterricht hätten. So manches Kind, das große Begeisterung und Anstrengungsbereitschaft entwickelt hat, konnte aus diesem Setting in einen Einzelunterricht an der Musikschule wechseln und seine Fähigkeiten dort ausbauen!
Schwerpunkt: Aktiv Musizierender
Bei Kindern, die an einer Musikschule Einzelunterricht nehmen, verlagert sich – neben der allgemeinen Musikalisierung – der Schwerpunkt mehr in Richtung Spieltechnik. Der Pädagoge kann im Einzelunterricht viel mehr auf die spieltechnischen Herausforderungen des einzelnen Kindes eingehen als in einem Klassenunterrichts-Setting. Meist wird der Einzelunterricht noch zusätzlich mit einem Gruppenunterricht und einem Theorieunterricht kombiniert, sodass die Kinder bei Bedarf wirklich eine sehr intensive musikalische Bildung erhalten. Zusätzlich sind sie in Ensembles und Orchester eingebunden und entwickeln sich einerseits zu sehr aktiven Musikern und andrerseits zu interessierten Konzertbesuchern. Kinder, die hier ihre große Leidenschaft für Musik entdecken, haben sogar die Möglichkeit, in ein Begabtenförderungs-Programm aufgenommen zu werden, wo ihnen dann der Weg in Richtung Berufsmusiker offen steht. Das Spektrum an aktiv Musizierenden an einer Musikschule ist also sehr breit gefächert. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig auf dem aktiven Musizieren.
Schwerpunkt: Begabtenförderung
In den Begabtenförderungs-Programmen der Musikschulen und den Vorbereitungs- und Hochbegabtenklassen an den Musikuniversitäten liegt der Schwerpunkt größtenteils in der Ausbildung der nächsten Generation an Berufsmusikern. Die Ausbildung in diesem Sektor ist mit sehr viel Engagement und sehr großer Anstrengungsbereitschaft verbunden. Sie beansprucht sehr viel Zeit im Leben der jungen Musiker, und das Ziel der jungen Menschen auf dieser Ausbildungsschiene ist es meist, Berufsmusiker zu werden.
Fazit
Wir haben in unserer musikalischen Bildungslandschaft sehr unterschiedliche Unterrichts-Settings, die aber alle ihre Berechtigung haben. Es macht auch absolut Sinn, dass die unterschiedlichen Settings sich auf unterschiedliche Schwerpunkte ausrichten. Für uns Pädagogen ist es wichtig, uns dieser Schwerpunkte bewusst zu sein, dass wir uns in unserem Tätigkeitsbereich wohlfühlen können. Ein Streicher-Lehrer, dessen Schwerpunkt auf einer ausgefeilten Spieltechnik liegt, wird beim Unterrichten einer Streicherklasse auf Dauer wahrscheinlich nicht glücklich werden. Einer, der es liebt, Kindern die Musik in ihrer Vielfalt nahezubringen, wird auch mit elementaren „Bausteinen“ in einer Streicherklasse einen wunderbaren Unterricht anbieten, und es wird für ihn sinnstiftend sein. Ebenso ist es erfüllend, junge Menschen über Jahre hinweg sehr intensiv auf ihrem instrumentalen Weg zu begleiten, ob sie sich nun für die Laufbahn eines aktiven Amateurmusikers oder die eines Berufsmusikers entscheiden! Alle diese Unterrichtsformen haben ihre Berechtigung, und die engagierten Pädagogen leisten – jeder auf seinem Gebiet – sehr gute Arbeit. Ihnen gehört mein größter Respekt!
In welchem „Bereich“, in was für Unterrichts-Settings, arbeiten Sie? Welche Schwerpunkte setzen Sie? Welchen Bereich empfinden Sie für sich als sinnstiftend? In welchem Bereich fühlen Sie sich anerkannt? Über einen Austausch zu diesem Thema würde ich mich sehr freuen!
Herzlichst,
Ihre Andrea Holzer-Rhomberg
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